Rudolstadt-Festival 2016 1 2 3 4
Wo Worte nicht hinreichen…
Weil am Freitag alle Vorführungen des Festivalfilms schon ausgebucht waren, gabs heute noch einen Nachschlag um 11 Uhr im Kino. Unter dem Titel „Wo Worte nicht hinreichen…“ (Trailer auf vimeo | youtube) hat die junge Berliner Regisseurin Josephine Links (Absolventin der Filmhochschule „Konrad Wolf“ Potsdam-Babelsberg) ihren 90minütigen Dokumentarspielfilm vom TFF 2015 vorgestellt. Das war bei Weitem mehr als eine Zusammenstellung von Konzerteindrücken mit den üblichen Statements der Künstler, Macher und Zuschauer. Der Film erzählt eher die Reise der verschiedenen Protagonisten von ihrer Heimat zum und durchs Festival in Rudolstadt. Das Konzept war, sich gezielt einige ziemlich gegensätzliche Musiker (Eurasians Unity | Deutschland/Multinational, Karolina Cicha | Polen, Torgeir Vassvik | Norwegen) rauszupicken und sie durch die Festivalvorbereitung, ihre Auftritte und Begegnungen zu begleiten. Andererseits hat sie auch die Geschichte einer Familie aus Berlin erzählt, die in mehreren Generationen das Folkfest besucht. Daneben gab es auch sehenswerte Momentaufnahmen und Episoden des gesamten 4tägigen Festivallebens. Besonders gefiel mir das gelungene abwechslungsreiche Erzähltempo. Das war kein stetiger Bilderstrom oder hektischer Szenenwechsel, sondern ruhig erzählte Passagen mit längeren Einstellungen wechselten sich mit schnellen Schnitten bildflutender Eindrücke ab. Hat mir gut gefallen, besonders auch der Filmeinstieg in der nordnorwegischen Finnmarka (als alter Nordfan). Darüber hinaus hatte die sehr sympathische Regisseurin Josephine Links auch noch Zeit und Interesse für ein persönliches Gespräch mit interessierten Zuschauern. Über die Intentionen des Filmprojekts, als er noch „Lebentanzen“ (und der Kameramann Michel noch Unger) hieß und in den Finanzierungskinderschuhen steckte (der Film), gibts Interessantes zu erfahren unter: www.visionbakery.com/TFF-Film.
Danach stellte uns unser Programm vor die Wahl: Luke Winslow-King mit US-amerikanischem Country-Blues im Heinepark oder die kanadische Sängerin Alejandra Ribera (www | facebook | youtube) auf der Heidecksburg. Im Zweifel für das schönere Bild führte uns auf die harte Tour über die Schlossaufgang-1-Treppen zu den Burgterrassen. Eigentlich hatte man vom „Shooting-Star 2016 der internationalen Vokalszene“ ein tobendes „Unwetter“ ihrer schottischen und argentinischen Wurzeln erwartet. Aber mir schien es nur ein laues Lüftchen aus mundwerklich ganz ordentlicher Songmakerei, wie es eben so singt und klingt in Nordamerika. Ohne besonderen Eindruck der Musik erinnere ich mich eher an die interessanten Zuhörernachbarinnen und dass wir uns nach einer halben Stunde schlaftrunken aufgerappelt haben, etwas Spannenderes zu finden.
Da kamen die Dakh Daughters (Ukraine) (www | facebook | youtube) mit ihrer anarchischen Punk-Kabarett-Theater-Show auf dem Marktplatz gerade recht, um die ausgeflippten Weiber auch mal bei Lichte zu besehn. Und vielleicht sind sie gar nicht ausgeflippt, sondern eigentlich ganz nett und spielen nur perfekt ihre provokanten Rollen gegen eine ausgeflippte Welt? Bemerkenswert, wie die wirklichen Frauen hinter der relativ simplen Geisha-Maske zurücktraten und mit einfallsreicher Choreografie, musikalischem Können und schauspielerischer Intensität Empfindungen transportieren konnten, ohne dass man den Text wirklich verstanden hat. Viele Stücke sind so angelegt, dass sie ganz harmlos beginnen, beschleunigen und plötzlich explodieren. Vom lieblichen Satzgesang traditioneller slawischer Frauenchöre kann das unvermittelt in die Hardcore-Ausbrüche à la Natalka Halanevych umschlagen. Jedenfalls wurde man dabei wieder wach.
Danach konnten wir auch mal etwas durch die Innenstadt schlendern, weil es gerade keine zwingenden Programmpunkte in der Nähe gab, nicht mal swingende. Von Kleidermännern über Taxitäschchen bis zur Musikinstrumentengasse gibts da immer Interessantes zu entdecken.
Bei Gangstagrass (www | youtube), einer US-amerikanischen Blue-Hip-Grass-Hop-Band aus New York, waren vor allem Pünktchen auffällig, die die Geigerin Melody Berger großformatig präsentierte. Weil aber Bluegrass so gar nicht Meins ist, hab ich mich trotz des Blickfangs wieder verkrümelt.
Und bin wieder bei Gasandji (Kongo/Frankreich) (www | facebook | youtube) auf der Burgterrasse gelandet. Sie war immer noch schön, hatte diesmal ihre weiße Lieblingsnoppenbluse an (vom Pressefoto) und uns immer noch alle lieb. Mit ihrer klasse Stimme, eingängig-melodischen Afro-Reggae-Pop-Chan-Songs und ihrer herzlichen, natürlichen und emotionalen Ausstrahlung hat sie das Publikum wieder zum Dahinschmelzen gebracht. Einen gewissen Anteil könnte auch die Sommersonnenhitze gehabt haben.
Inzwischen hatte mit Emily Portman & The Coracle Band aus Südengland (www | facebook | youtube) der letzte Akt auf der Großen Heidecksburgbühne begonnen. Im Gegensatz zu einigen anderen Zuhörern fand ich ihre englisch-keltischen Songs gar nicht langweilig oder eintönig, aber auch nicht düster und gruselig wie angekündigt, sondern einfach nur einfach, zurückhaltend, empfindsam, märchenhaft und ein schön bisschen melancholisch.
Wo ein paar Worte ausreichen
Als krönender Abschluss des Rudolstadt Festivals 2016 war Glen Hansard (Irland) (www | facebook | youtube) angekündigt, der als unbekannter Straßenmusiker begann, in einem erfolgreichen Film über sich selbst sich selbst spielte und dann ein weltbekannter Straßenmusiker wurde – einfach märchenhaft. Na gut, ich kannte ihn nicht, aber ich hör auch kein Hitradio. Und wenn so ein toller Hecht auftritt, der Töchter, Väter und Schwiegermütter begeistert, bin ich immer etwas skeptisch. Also, was ich da gehört hab, war ganz nett, hat mich aber nicht aus den Socken gehaun. Das war relativ einfach gestrickter Mainstream-Country im Dreivierteltakt mit einer Extraportion Cello-Geigen-Schmalz. Ein bezeichnender Kommentar auf Youtube: „Oh My God! I really love this Guy and His music!“ Muss man wohl auch, sonst wirds ganz schön langweilig…