2022 Estland: Hiiumaa: Halbinsel Kõpu: Palli Strand (Foto: Andreas Kuhrt)

Rundtour Estland 2022

Unser Urlaubsziel Estland ist etwas kurios-spontan entstanden. Eigentlich wollten wir ja ein Stück auf dem Alpe-Adria-Trail wandern. Dann gabs aber Nachrichten von überfüllten Alpenhütten und sauteurem Bier: da war ich raus. Ich erinnerte mich an eine tolle Band beim Rudolstadt-Festival 2022: Trad.Attack! aus Estland. Beim Umherforschen über die Musiker Sandra und Jalmar Vabarna + Tõnu Tubli hatte ich rausgefunden, dass Sandra Vabarna und ihre Mutter Ene Sillamaa bei Viljandi in Estland den alten Bauernhof Männiku Metsatalu (Kiefernwald-Hof) als Ferienunterkunft betreiben. Zwei Wochen später sind wir mit der Fähre Stena Nordica in 20 Stunden von Travemünde über die Ostsee nach Liepāja in Lettland geschippert (etwa 700 km). Nach einer Nacht auf dem schön-einsamen Zeltplatz Rūgumi direkt an der Ostseeküste 14 km nördlich von Liepāja (Lichtjahre von Mecklenburger Ostsee-Zeltplätzen entfernt) mussten wir noch gut 400 km nach Südestland fahren. Zwischendurch waren wir noch in Riga: gefällt mir nicht so: laut, verkehrsreich und etwas zusammengewürfelt, der Dom ist eindrucksvoll und die Uferpromenade an der Daugava (Düna) ganz nett.

Unsere Ferienunterkunft für die erste Woche, Männiku Metsatalu (Kiefernwald-Hof | www.metsatalu.ee) ist ein einsam auf einer Waldlichtung gelegener Bauernhof mit einigen historischen Holzhäusern, die von den Betreibern (Sandra Vabarna und ihre Mutter Ene Sillamaa) liebevoll restauriert und eingerichtet wurden. Wir hatten eine kleine Ferienwohnung in der „Bauernsuite“, ein Holzblockhaus mit irgendwie musealer Einrichtung. Im Nachbarzimmer stand ein alter Handwebstuhl.

Da kann man gleich drei estnische Leidenschaften anmerken: Weben, Chor-Singen und Schaukeln. Weben: Estland ist berühmt für die vielfältigen und speziellen Web- und Strickmuster. Schaukeln (Kiiking: Schwingen): fast überall gibt es riesige Schaukeln für etwa 10 Leute für regelrechte Schaukelwettbewerbe oder wenigstens aufgehängte Schaukelbänke. Singen: jeder Ort, der etwas auf sich hält, hat eine öffentliche Gesangsarena, eine Art Odeon für Chorfestspiele.

Schaukel auf dem Burgberg in Viljandi: da muss man sich zu zweit ganz schön reinhängen (Video von akut.zone)

Natürlich gibts so eine Gesangsarena auch in der Kleinstadt Viljandi (etwa 17200 Einwohner, deutsch: Fellin, ehemalige Hansestadt), wo wir zuerst waren. Viljandi hat nämlich die Fakultät für traditionelle Musik der Universität Tartu. Und da haben auch die drei Trad.Attack!-Musiker studiert. Viljandi ist es eine hübsche Stadt mit noch vielen Holzhäusern (die teilweise auf die Renovierung warten), vier Kirchen, viel Grün und einer Ruine der einst mächtigen Deutschorden-Burg Fellin (ab 1224 erbaut, Herrschersitz der deutschen Kreuzritter, Moskoviter, Polen und Schweden). Bemerkenswert waren noch Begegnungen im sehr empfehlenswerten Café Roheline Maja (Grünes Haus), wo sich gleich ein Gast als deutsch-estnischer Übersetzer angeboten hat. Das war ein deutscher Musik-Hochschullehrer in Viljandi und Riga (Christoph Felix Schulz aus Münster, glaub ich), der u.a. auch die Musiker von Trad.Attack! unterrichtet hatte. Eine zweite nette Bekanntschaft war Hela (die Schwester des Café-Besitzers), die lange Zeit in Deutschland gelebt hatte und nun wieder zuhause in Viljandi wohnt und jede Gelegenheit zum Deutsch-Sprechen nutzt. Sie hat uns auch gleich sehr herzlich in ihre kleine Wohnung nebenan eingeladen und ihre Malereien gezeigt. Nach einer Stunde kannten wir fast ihr ganzes bewegtes Leben.

Am nächsten Tag haben wir eine Fahrradtour durch die ziemlich flache Wald- und Seenlandschaft Estlands gemacht (Estlands höchster Berg ist mit 318 m der Suur Munamägi = Großer Eierberg ganz im Südosten, wo wir nicht waren). Schließlich sind wir zum Heimtali-Museum gekommen, ohne zu wissen, was es ist. Das war ursprünglich eine kleine Dorfschule, die in den 1980er Jahren als Heimat-Museum eingerichtet wurde. In den 1990er Jahren wurde es Textilmuseum der Sammlung von Anu Raud, der berühmtesten estnischen Textilkünstlerin. Es gibt alles aus Schafwolle: am estländische Wollhandschuh-Muster kann man die Herkunft des Trägers erkennen, sie sehen klasse aus, kratzen aber auch ganz schön. Webmuster geben Auskunft über die regionale Herkunft. Die kleine Insel Kihnu ist der Hotspot der Weberei. Die Streifenmuster der Röcke haben einen Farbcode: viel Rot = jung und gesund, mehr dunkel = älter oder in Trauer. Und in einem Spielzimmer waren gestrickten Spieltiere von Anu Raud versammelt. Manu hatte erst am Tag vorher ein Strickmuster-Wälzer von Anu Raud gekauft: und hier gabs das Alles zum Anfassen (mit Handschuhen wegen der Motten). Inzwischen gehört das Heimtali-Museum zum estnischen Nationalmuseum (in Tartu).

Estland ist ein Naturland: die Hälfte der Fläche ist mit Wald bedeckt (45 227 km²). Weitere 20 % sind Moore, die meist als Nationalparks geschützt sind. Allein der Soomaa-Nationalpark (Soomaa heißt einfach Moorland) mit 5 großen Mooren erstreckt sich über eine Fläche von etwa 15 x 10 km. Das ist mal Weite: bis zum Horizont Moorwiesen, die mit kleinen Kiefern gesprenkelt sind, und Moorseen. Die Wanderwege sind mit Bohlenstegen erschlossen, an den Seen gibts kleine Picknick- und Badeplätze und wer mag, kann mit Mooschuhen quermoorein gehen (bei uns alles undenkbar). Wir waren im Kuresoo (Storch-Sumpf) und Riisa-Moor. Der Wanderweg am Raudna jõgi (Raudna-Fluss, Nebenfluss der Halliste) war im September nicht so spannend. Aber zum Frühjahrs-Schneeschmelze ist dieses Gebiet für die Überschwemmungen bekannt, so dass die Dörfer und Gehöfte nur noch mit Booten erreicht werden können (es gibt hier noch traditionelle Einbaum-Bootsbauer).

Einen Tagesausflug haben wir nach Tartu gemacht (80 km östlich von Viljandi): mit knapp 100000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt nach der Hauptstadt Tallinn. Tartu hat die erste, größte und älteste Universität Estlands mit etwa 14000 Studenten: 1632 unter Gustav II. Adolf von Schweden in der damaligen Hansestadt Dorpat gegründet. Zur Uni gehört noch ein botanischer Garten, der ganz hübsch ist. Tartu wirkt eher gemütlich, aber auch jung und ein bisschen cool: wo gibts sonst noch einen Brunnen mit „Küssenden Studenten“ auf dem Marktplatz (Bildhauer: Mati Karmin, 1998). Das Freizeit-Forschungs-Zentrum AHHAA schien ganz interessant. Wir sind allerdings nur bis zum Riesenstuhl und -tisch gekommen, an dem man sich wie ein Kind fühlen kann: alles ist zu groß und kaum erreichbar. Es gibt viele Studentenkneipen (z.B. Genialistide Klubi: Club der Genies) und den Szenehof Kastani 42 mit Kneipen, Galerien, Clubs und einer Whisky-Manufaktur. Aber der Hammer ist das 2016 fertiggestellte neue Estnische Nationalmuseum: ein 15 m hoher, 70 m breiter, 355 m langer Glaskasten, der in die Landebahn des ehemaligen russischen Bomber-Militärflugplatzes Raadi hineingebaut wurde (Architekten: Dorell.Ghotmeh.Tane, Paris). Das sollte erst woanders, an einem repräsentativeren Platz gebaut werden, aber die Architekten wollten es unbedingt so, als Zeichen der Aufarbeitung des estnischen Traumas der russischen Besetzung und der Wiederaneignung der estnischen Identität.

Unsere Estland-Rundfahrt führte uns weiter nach Nordosten am riesigen Peipussee entlang (etwa 75 x 35 km groß), die Grenze zu Russland. Die Ufer sind erstaunlich unverbaut und kaum genutzt: ein paar einfache Campingplätze und Dorf-Strände, das wars. Unser Ziel war das größte aktive Kloster Estlands: das russisch-orthodoxe Nonnenkloster Maria Himmelfahrt in Kuremäe (1891 gegründet) in Nordestland (nur rund 20 km von der russischen Grenze entfernt). Ein Reiseführer-Bild hatte uns auf die Spur gebracht. Auf dem eindrucksvollen Klostergelände mit etwa 20 Häusern und einer großen Kathedrale der Himmelfahrt der Jungfrau Maria leben etwa 100 Nonnen und Novizinnen. Das Klostergelände ist zwar ummauert und wirkt mit den Tortürmen wie eine Burg, aber durch eine Pforte frei zugänglich. Und man kann nach Belieben umherstreifen und den Nonnen beim Klosterleben zusehen. Die meisten Klostergebäude sind zwar nur mit Führung zugänglich, aber die Kathedrale ist für Besucher offen (für Frauen natürlich wieder nur in Vollverkleidung: langer Rock, bedeckte Arme, Kopftuch). Fotografiert werden mögen die Nonnen nicht so und gehen den Besuchern lieber aus dem Weg. Aber man kann auch in der Pilgerherberge übernachten.

Abends sind wir noch ins 185 km entfernte Tallinn gefahren: die Hauptstadt Estlands (etwa 435000 Einwohner) am Finnischen Meerbusen (davon hatte ich mir mehr versprochen, aber es ist einfach nur Wasser). Dort mussten wir uns erst mal eine bezahlbare Bleibe suchen: das Hotel Citybox und Parkplätze sind nur online buchbar. Im Hafengelände wird gerade auf Teufel-komm-raus alles umgekrempelt und hip-neu bebaut: schöne neue Geschäfts-Welt. Aber Tallinn hat auch eine wunderbar erhaltene mittelalterlich Altstadt (UNESCO-Weltkulturerbe). Tallinn wurde im 11. Jahrhundert als estnischer Handelsplatz am Meer und Burg auf dem Domberg Toompea gegründet, 1219 von Dänen und später deutschen Schwertbrüderorden und Kreuzrittern erobert und als Hansestadt Reval ausgebaut. Im alten Stadtkern innerhalb der Stadtmauer kann man sich einfach treiben lassen und in den alten Gassen auf Entdeckungsreise gehen. Sehenswürdigkeiten, Kirchen, Museen, Galerien, Gaststätten, Geschäfte gibts jede Menge.

Aber eineinhalb Tage haben uns gereicht. Wir wollten wieder nach Estland: unsere Gastgeberin in Männiku Metsatalu meinte, Tallinn ist nicht Estland, Tallinn ist eine Großstadt. In der verbleibenden Zeit wollten wir die großen Ostseeinseln Hiiumaa und Saaremaa in Westestland besuchen. Da kann man mit Autofähren hinfahren, sie lassen sich aber auch hervorragend mit Fahrradtouren erkunden: kleine nette Orte, viel Wald, endlose Strände und idyllische RMK-Campingplätze. Das sind Campingplätze in schöner landschaftlicher Lage, die von der nationalen estnischen Forstbehörde bewirtschaftet werden. Diese Campingplätze sind tatsächlich kostenlos. Es gibt immer einige Grill-/Feuerstellen (mit schwenkbarem Rost), überdachte Picknicktische, einen Holzvorrat, ein Trockenklo und Abfallcontainer: fertig ist das Camperglück. Auf den beiden Inseln sind wir nach touristischen Wegweisern Fahrrad gefahren oder gewandert. Ein Ziel war dabei, die schönsten Leuchttürme zu „sammeln“. Leider hatten wir dafür nur noch 5 Tage Zeit und mussten uns dann schweren Herzens losreißen und losreisen.

Zur zweitgrößten Insel Hiiumaa (etwa 55 x 45 km) kommt man vom Hafen Rohuküla (etwa 100 km südwestlich von Tallinn). Mit der Autofähre fährt man in 1,5 Stunden die etwa 21 km über die Ostsee-Meerenge Väinameri (das heißt: Meerenge, wer hätte das gedacht) nach Heltermaa auf Hiiumaa (die Endung …maa bedeutet …land, Hiiumaa müßte demnach Halloland (?) heißen). Auf Hiiumaa hatten wir uns den RMK-Campingplatz Palli auf der westlichen Halbinsel Kõpu ausgesucht: ziemlich abgelegen, ruhig, mit etwas Sandstrand nach Nordwesten (wegen der romantischen Sonnenuntergänge, hat auch gut geklappt). Die staatliche Forstbehörde RMK bewirtschaftet nicht nur die Wälder in Estland, sondern ist auch für Wanderwege und eigene öffentliche Campingplätze zuständig. Diese liegen in landschaftlich schöner Umgebung und sind einfach eingerichtet: Trockenklo, Abfallcontainer, haben meist Feuer-Stellen (mit Grillrost), Holzvorrat, überdachte Picknicktische und sind: kostenlos zu nutzen. Von Palli aus konnte man die Kõpu-Halbinsel gut mit dem Fahrrad erkunden. In der Mitte der etwa 20 x 5 km großen Halbinsel steht am höchsten Punkt der Kõpu tuletorn (Leuchtturm): der drittälteste noch betriebene Leuchtturm der Welt: 1505-31 auf Betreiben der Hanse erbaut. Mit 103 m üNN (67 m hoher Hügel Tornimägi + 36 m hoher Turm) ist es auch eines der höchsten Leuchtfeuer an der Ostsee. Eines unserer „Hobbys“ auf den estnischen Inseln war das „Leuchtturm-Sammeln“: wir wussten inzwischen, dass es dort viele spezielle und sehenswerte Leuchttürme gibt. 10 km weiter westwärts an der Küste gabs den Ristna-Leuchtturm: eine gusseiserne Konstruktion, die im russischen Auftrag 1873 in Paris angefertigt und 1874 auf Hiumaa montiert wurde (30 m hoch). Er dient der Eiswarnung auf der vielbefahrenen Schifffahrtsroute zwischen Estland, Finnland und Schweden. Auf dem Campingplatz Palli haben wir auch noch Walter (und Frau und Hund) aus Regen/Zwiesel kennengelernt: einen Motorrad- und Caravan-Weltenbummler, der früher weltweit Rotel-Reisebusse gefahren hat. Über seine Reisen und seine Karriere als Skiläufer und -lehrer hat er uns beim Lagerfeuer und einigen Flaschen/Packs Wein spannende, fast unglaubliche Geschichten erzählt. OK, die nächste Nacht war nicht ganz so idyllisch, wenn am Wochenende ein Dutzend Einheimische mit Partyzelt, Dieselgenerator und Lautsprecherboxen anrücken. Aber wir wollten danach sowieso weiter. Ganz an der Nordspitze von Hiiumaa gibts noch einen alten gusseisernen Leuchtturm Tahkuna, der auch 1871 von der damaligen russischen Regierung Estlands in Auftrag, 1873 gebaut und 1875 montiert wurde (wie Ristna, nur größer: 43 m). An der nördlichen Hiiumaa-Landspitze Tahkuna gibts aber auch noch ein Denkmal: ein schräges Eisengestänge, in dem eine kleine Glocke an einem Pendelbalken aufgehängt ist (bei starkem Wind soll die Glocke von allein läuten). Das Denkmal stammt wieder (wie das küssende Studentenpaar in Tartu vom Bildhauer Mati Karmin) und ist den Kindern gewidmet, die beim Estonia-Schiffsunglück 1994 ums Leben kamen. Am 28.09.1994 ist die Fähre „Estonia“ bei der Überfahrt von Tallinn nach Stockholm bei stürmischer See im Finnischen Meerbusen zwischen Hiiumaa und Südfinnland nach Wassereinbruch gesunken. 852 Menschen sind ertrunken oder im kalten Wasser erfroren (nur 137 konnten gerettet werden). Von 15 Kindern (unter 15 Jahren) an Bord überlebte nur ein einziger Junge. Tahkuna an der nördlichsten Spitze von Hiiuma ist in Estland der Unglücksstelle in der Ostsee vor der finnischen Insel Utö am nächsten, etwa 60 km entfernt.

Am nächsten Tag wollten wir noch auf die südliche Nachbarinsel Saaremaa. Dazu kann man vom kleinen Hafen Sõru im Süden von Hiiumaa mit der Fähre nach Triigi im Norden Saaremaas übersetzen. Um schon etwas näher am Hafenort zu sein, wollten wir uns einen Zeltplatz im Süden von Hiiumaa suchen. Dabei kamen wir durch das Dorf Käina (mit etwa 700 Einwohnern der zweitgrößte Ort auf Hiiumaa). Auffällig war dort ein Gebäude mit einer Art Blechzungen-Stachelfassade, das ich zuerst wegen der Form für eine „neumodische“ Kirche gehalten hab. Die vorgehängte Blechfassade besteht aus freigestanzten Blechzungen, die unterschiedlich aufgebogen wurden: das macht einen auffällig-merkwürdigen stacheligen Eindruck. Es ist das 2020 gebaute Erlebniszentrum Tuuletorn (Windturm, auch als Karottenreibe bezeichnet): darin gibts u.a. die höchste Indoor-Kletterwand des Baltikums (in einem 700-Einwohner-Dorf!) An der Küste südlich von Käina haben wir dann auch noch den schönen RMK-Campingplatz Sääretirbi (Schienbein) gefunden: wenn Hiiumaa im September schon sehr ruhig ist, ist man auf der Landzunge Sääre tirp noch mal einen Zacken alleiner, also völlig einsam. Der Schienbein-Name hat seinen Grund: Sääre tirp ist eine etwa 2 km lange Landzunge aus Kieselsteinen, die sich von anfangs etwa 75 m Breite auf einen Fußbreit verengt, bevor sie im Meer verschwindet, krass.

Am nächsten Tag sind wir vom dörflich-beschaulichen Häfchen Sõru mit der Fähre zur Nachbarinsel Saaremaa rübergefahren. Saaremaa heißt schlicht Inselland (die Esten scheinen mit ihrer Namensgebung sehr pragmatisch zu sein) und ist mit etwa 95 x 45 km Ausdehnung die größte estnische Insel. Inzwischen wussten wir ja, dass man auf den RMK-Campingplätzen immer gut unterkommt. Wir haben uns wieder einen Platz möglichst im Westen mit Blick zum Sonnenuntergang gesucht. Saaremaa ist aber nicht ganz so übersichtlich wie die Insel Hiiumaa. Deshalb sind wir erst mal nur bis zur Tagalaht-Bucht gekommen (heißt sowas wie „hinterer Schacht/Hinterhof“), also die letzte Inselbucht vor dem offenen Meer. An der kilometerlagen Sandpiste im Osten der Bucht gabs drei RMK-Plätze, den zweiten haben wir genommen. Mitten im Kiefernwald-Nirgendwo der Abula-Gegend gabs eigentlich keine Camper, außer den Weltenbummler Walter aus Regen/Zwiesel/Bayern mit Frau und Hund in ihrem Caravan, mit dem wir schon im RMK-Camp Palli (vor drei Nächten) eine weinselige Geschichten-Nacht erlebt haben (er war weltweiter Rotel-Reisen-Fahrer, bayerischer Skifahrer und -lehrer, Island-Motorrad-Durchquerer und was weiß ich nicht noch alles… (schönen Gruß aus Suhl, Danke für die interessanten Geschichten). Auf Saaremaa haben wir in unseren letzten beiden Urlaubstagen erst mal den nördlichen Vilsandi-Nationalpark erwandert: eine einfache 10-km-Küstenwanderung: viele Pilze, viel Sandstrand, der schiefe Leuchtturm von Kiipasaare (durch Sturmfluten „entstrandet“ und abgekippt). Unser letzter Zeltplatz in Saaremaa/Estland war noch ein bisschen weiter südlich bei Käkisilma an der Westküste von Saaremaa (wegen der Sonnenuntergänge), aber eben nicht richtig draußen, weil man mit dem Auto nicht weiter kam. Dieser Campingplatz liegt sozusagen „am Arsch der Saaremaa-Welt“, weiter geht es nicht mehr. Dachte ich, bis ich Nachts ein Stück des Vilsandi-Wanderwegs erkunden wollte: nach 250 m stand ich plötzlich im Wasser. Also: der Wanderweg zur Insel/Dorf Vilsandi führt über rund 5 km schon da lang, aber dazwischen sind 6 mehr oder weniger tiefe und lange Wasserdurchquerungen (ohne Brücken): also eine echte „Wasserwanderung“. Aber leider war unsere Estland-Exkursion nach 2 Wochen schon zu Ende und wir mussten am nächsten Tag zurück zur Fähre nach Liepāja in Lettland. Eine Fähre brachte uns vom Hafen Kuivastu ins 7 km entfernte Dorf Virtsu auf dem estnischen Festland. Von da…

sind wir mit einen Zwischen-Mahlzeit-Besichtigungs-Stopp in der Ostsee-Kurstadt Pärnu in einem „Ritt“ zurück nach Liepāja gefahren. Höhepunkte der Fähr-Rückfahrt nach Travemünde war ein spendiertes Stück Kuchen zum 60jährigen Betriebsjubiläum der Fährgesellschaft Stena und ein kleiner Tornado auf dem Meer vor Rügen. Schade: Urlaub schon wieder rum, aber interessant, erlebnisreich, oft überraschend und schön wars in Estland.

Fotokalender 2023: Rudolstadt Festival: Deckblatt: Ana Veydo, Cimarrón, Kolumbien (Foto/Gestaltung: Andreas Kuhrt)

Fotokalender Rudolstadt Festival 2022

Jahreskalender im Format DIN A2 mit 14 Fotos von Andreas Kuhrt

Es war sehr schön, 2022 mal wieder ein Rudolstadt Festival erleben zu können. Wir kannten mal wieder nur ganz wenige der angekündigten Acts. Deshalb ist es immer wieder überraschend, wie viele interessante Künstler man entdecken kann, wenn man die Vorstellungen ohne festgefügte Erwartung erlebt. In diesem Jahr hab ich auch wieder viele Poträts der Künstler gemacht (nicht nur Handy-Aufnahmen). Ich finde, dass da ein paar ganz gute dabei sind, die einige Emotionen der Musiker bei ihren Auftritten widerspiegeln. Bei der Auswahl sind mir irgendwie ohne bestimmte Absicht besonders Fotos zum Thema „Haare“ hineingeraten.

Garten-Fotos: Entfaltung (Foto: Andreas Kuhrt)

Fotos Garten 2022

Ein kleiner Fotowettbewerb des Fotoclubs Kontrast Suhl in Günters Garten/Haus. Es ging darum, aus dem vorhandenen Motivangebot an Pflanzen, Blumen, Hausrat und Sammlerobjekten „vorzeigbare“ Fotos zu machen. Ich hab versucht, ganz gewöhnliche Motive als strukturbetonte Bilder umzusetzen. Dabei hat mich auch die Wirkung von Graustufenbildern gegenüber dem farbigen Original interessiert, z.B. bei Tulpen-Blüten, die ja eigentlich gerade durch die starke Farbigkeit wirken. Alle Fotos wurden mit dem Handy aufgenommen, teilweise im Graustufenmodus, einige Bilder wurden nachbearbeitet (Tonwertkorrektur, Vignette, partielle Scharf-/Weichzeichnung).

Grünes Band Thüringen 2022: Morgens bei Geisa (Foto: Andreas Kuhrt)

Osterwanderung Grünes Band Thüringen 2022

Über Ostern 2022 haben wir unsere Wanderung entlang des Grünen Bandes Thüringen fortgesetzt: von Walkes nach Gerstungen durch die Thüringer Rhön, eine Strecke von 100 km in 5 Tagen.

Donnerstag, 14.04.2022: Walkes – Geisa

2021 hatten wir unsere Osterwanderung bei Seeleshof beendet, ein 1974 geschleifter Gutshof im ehemaligen DDR-Grenzgebiet zu Hessen zwischen Walkes (Thüringen) und Habel (Hessen). Unsere 2022-Osterwanderung haben wir 1 km weiter südwestlich in Walkes begonnen, ein kleines Dorf (etwa 60 Einwohner) im westlichsten Thüringer Zipfel nach Hessen. Die Gegend ist wirklich sehr abgelegen und mit Bahn/Bus von Suhl aus nur sehr umständlich zu erreichen, so dass wir uns die 70 km mit dem Auto haben hinbringen lassen. Walkes liegt etwa 1 km vom Grünen-Band-Wanderweg an der ehemaligen Staatsgrenze der DDR entfernt. Wir sind auf einem Feldweg zwischen Rinderkoppeln zum Tannenberg-Seelesberg (Naturschutzgebiet seit 1990) aufgestiegen. Auf der Höhe trifft man auf den Kolonnenweg entlang der Grenze, dem das Grüne Band meistens folgt. Der Kolonnenweg (für die Kontrollfahrten der Grenzsoldaten) besteht oft aus Beton-Gitterplatten, die wegen der Löcher blöd zu laufen sind (man sucht sich meist Trampelpfade daneben), aber mit den durchwachsenden Pflanzen auch hübsch aussehen: wie kleine Beete, wenn frische Grasbüschel oder Veilchen herausgucken. Nach 2 km um den Tannenberg-Seelesberg herum kommt man zum Ahornplatz, eine rustikal möblierte Waldlichtung (gut für ein Picknick) direkt auf der Grenze zwischen Walkes (Thüringen) und Obernüst (Hessen). Hier gibts einen Gedenkstein zur Grenzöffnung im November 1989. Unser nächstes Ziel war das Hohe Kreuz auf dem Rößberg (640 m, liegt etwas abseits vom Grünen Band) bei Ketten, ein toller Aussichtspunkt zur Thüringer Kuppenrhön im Ulstertal. Der nächste Abstecher vom Grünen Band führte uns nach Reinhards: 23 Einwohner, 5 Häuser, 5 Höfe (einer davon: Wassermannshof für Ferien auf dem Bauernhof), 2 Marienfiguren, eine Kapelle, ein Brunnen, eine Bushaltestelle. Reinhards ist der westlichste Ort Thüringens (früher der westlichste der DDR). Neben Hunden, Katzen und Hühnern haben wir in Reinhards auch einen Grünes-Band-Wanderer getroffen, ich glaub, den einzigen bisher. An der Wegkreuz- und Marienfiguren-Dichte erkennt man deutlich die katholische Prägung des Geisaer Landes (alle Orte im Umkreis gehören als Ortsteile zu Geisa). Etwas außerhalb von Reinhards ist die Kapelle Mariä Heimsuchung mit dem Wegkreuz davor ganz interessant, 1853 von der Familie Wassermann gestiftet. Ab dem Grenzknick bei Reinhards wendet sich der Wanderweg auf dem Grünen Band nach Norden. Der Kolonnenweg führt durch den Wald im Naturschutzgebiet Teufelsberg-Pietzelstein (auch 1990 eingerichtet). Am Geisbach bei Geismar kommt man wieder in offenes Feld-und-Wiesen-Gelände. Dort steht auch noch ein ehemaliger Grenzwachturm. Der hessische Rhön-Ort Setzelbach reicht direkt bis an die Thüringer Grenze ran. Inzwischen wars beim Wanderkilometer 20 halb Sieben, wir hatten Hunger und es war kein Gasthaus in Sicht. Es gab die Alternativen, den Grenzbogen bei Wiesenfeld auszulaufen (da gibts über die nächsten Kilometer keinen Ort) oder nach Rasdorf (in Hessen) oder nach Geisa (in Thüringen) zu gehen. Wir haben uns für Geisa über Wiesenfeld entschieden. In Geisa war am Freitag vor Ostern aber auch irgendwie tote Hose: die Geisschänke, Linde und Goldener Stern waren geschlossen. Unsere Rettung war die Pizzeria Zur Krone. Nachts um 9 haben wir dann noch ein Zeltplätzchen bei Geisa in Richtung Point Alpha gefunden.

Karfreitag, 15.04.2022: Geisa – Point Alpha – Unterbreizbach

Am nächsten Tag hatten wir einen tollen Sonnenmorgen über Geisa und dem Ulstertal. Von unserem Camp am Picknickplatz am Waldrand waren es nur 700 m den Rasdorfer Berg hoch zum Haus auf der Grenze der Gedenkstätte Point Alpha. Zwischen Geisa (Thüringen) und Rasdorf (Hessen) war zur DDR-Zeit der von den DDR-Grenzern streng bewachte und vom Bundesgrenzschutz und US-Amerikanern beargwöhnte westlichste Grenzabschnitt zwischen der DDR (Warschauer Pakt) und der BRD (NATO). Nach dem Anfang der 1950er Jahre eingerichteten US-amerikanische Beobachtungsposten heißt die Grenz-Gedenkstätte Point Alpha. Dort gibt es eine Ausstellung im Haus auf der Grenze, den ehemaligen US-amerikanischen Stützpunkt Point Alpha, Teile der originalen und rekonstruierte Grenzanlagen und den Weg der Hoffnung. Das ist ein 1,5 km langer Kreuzweg entlang des Kolonnenweges an der Grenze mit 14 Stationen mit großen Stahlskulpturen des Weimarer Metallkünstlers Ulrich Barnickel. Diese Figuren/-gruppen setzen den biblischen Leidensweg von Jesus in Beziehung zur ehemaligen lebensgefährlichen Grenze. Die Figuren sind aus Stahlteilen zusammengefügt, teils figürlich-naturalistisch, teils abstrakt-symbolisch gestaltet, aber immer ausdrucksstark einprägsam. Beim Haus auf der Grenze gibts noch eine Frieden-Peace-Мир-Windinstallation, die im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine wieder eine ganz aktuelle Bedeutung bekam. Ganz hinten, hinter dem Point-Alpha-Gelände wurde im Jahr 2000 ein Denkmal der deutschen Teilung und Wiedervereinigung aufgestellt (von Holzbildhauer-Schülern der Schnitzschule Empfertshausen gestaltet). Irgendwie finde ich die ganze Point-Alpha-Gedenkstätte schon interessant aber ziemlich zusammengewürfelt. Noch mal 200 m weiter auf dem ehemaligen Kolonnenweg klärt eine Infotafel über den Fischerhof auf: der ehemalige Bauernhof der Familie Fischer wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut und seit den 1930er Jahren von der Familie Sitzmann/Bednarek bewohnt. Nach 1945 lag der Hof im Grenzgebiet bei Geisa (etwa 120 m von der Grenze entfernt). Bevor die Bewohner im Zuge der DDR-Zwangsumsiedelungs-Aktion Grenze/Ungeziefer 1952 ihren Hof verlassen sollten, sind sie in den Westen gegangen. Der Hof wurde 1954 abgerissen.

Nach der Wüstung Fischerhof verläuft der Grünes-Band-Wanderweg weiter auf dem ehemaligen Kolonnenweg entlang der Grenzschneise im Wald in Richtung Norden zwischen Grüsselbach (Hessen) und Borsch (Thüringen). Hinter Borsch in Richtung Buttlar kommt man auf freies Feld und bald an die Straße B84 zwischen Buttlar und Rasdorf, die auf der Route des wichtigen historischen Handels- und Pilgerweges Via Regia zwischen Frankfurt/Main und Erfurt bis Leipzig verläuft (auch Frankfurter Straße genannt). Während der DDR-Zeit war die Grenze nach Hessen hier geschlossen, direkt an der Straße steht ein ehemaliger Grenzwachturm. Hier haben wir unsere Osterwanderungs-Mitläufer Silke und Uli getroffen, die uns auf der weiteren Strecke bis Gerstungen begleiteten. Der Kolonnenweg führt nach der B84 auf den Standorfsberg (386 m, Naturschutzgebiet). Von der Höhe geht der Kolonnenweg im steilsten Abschnitt der ehemaligen Westgrenze der DDR etwa 120 Höhenmeter abwärts ins Tal des Taft-Baches. Nach rechts wären es auf dem Gänseweg etwa 700 m nach Wenigentaft. Aber der Grenzweg geht nach links auf und um den Buchenberg (Bückenberg, 375 m) und kommt nach 4,7 km von der anderen Seite nach Wenigentaft. Kurios ist dabei ein etwa 20 m langer leichter Abstieg an der „Buchenberg-Nordwand“, der mit Drahtseilen „gesichert“ ist. Der alte Ort Wenigentaft (815 erstmals erwähnt, jetzt etwa 300 Einwohner) lag zu DDR-Zeiten fast völlig isoliert im Grenzsperrgebiet: die Verbindungen nach Hessen wurden gekappt, die Ziegelei abgerissen, die Ulstertalbahn stillgelegt und abgebaut. Interessant ist die Kirche St. Georg (der Drachentöter ist das Wahrzeichen von Wenigentaft), 1930 anstelle eines Vorgängerbaus aus dem 15. Jahrhundert errichtet, die für eine katholische Kirche erstaunlich schlicht und licht gestaltet wurde. Das Gasthaus „Zum Weißen Roß“ war am Karfreitag leider geschlossen (bei Öffnungszeiten Di + Fr 17-19 Uhr, Sa 10-18 Uhr ist es eh Glückssache, rein zu kommen). Also gingen wir gleich weiter: das Grüne Band folgt hinter Wenigentaft nicht dem Kolonnenweg, der um den sog. „Ulstersack“ (die hessischen Ulsterwiesen bei Mansbach) herumgeht, sondern geht auf dem Ulstertal-Radweg entlang der Trasse der ehemaligen Ulstertalbahn durch hessisches Gebiet. Während die Gleise der Ulstertalbahn auf Thüringer Gebiet nach der Stilllegung 1952 als Reparationsleistung für die Sowjetunion abgebaut wurden, liegen sie auf hessischem Gebiet teilweise noch im Wald. Nach diesem Abschnitt folgt das Grüne Band eigentlich wieder dem Kolonnenweg in den Wald Überm Haberts bis zur Salzbergbau-Abraumhalde bei Philippsthal/Unterbreizbach. Auf über 6 km eintönigen Waldweg hatten wir aber keine Lust und sind deshalb weiter auf dem Ulstertal-Radweg Richtung Pferdsdorf gewandert. An der Rasthütte am Teich kann man gut eine Pause einlegen. Man kommt am ehemaligen Bahnhof Pferdsdorf/Rhön (jetzt ein Wohnhaus) der Ulstertalbahn vorbei. Auf der alten Bahntrasse führt der Ulstertal-Radweg westlich der Ulster bis Unterbreizbach. In Unterbreizbach steht das letzte produzierende Kaliwerk in Thüringen. Es gehört mit den ehemals selbständigen Werken Wintershall (Heringen/Hessen) und Hattorf (bei Philippsthal/Hessen) und dem Erlebnis-Bergwerk Merkers (Thüringen) zum Werksverbund Werra des Düngemittel-Konzerns K+S Minerals and Agriculture GmbH. Das Kaliwerk in Unterbreizbach wurde 1910 mit der Teufung des Salzbergwerk-Schachtes Sachsen-Weimar gegründet. Das verbundene Untertage-Abbaugebiet des Werra-Reviers entspricht inzwischen der Größe von München (etwa 20 km Durchmesser), es werden etwa 20 Millionen Tonnen Rohsalz jährlich abgebaut, das Werk hat insgesamt etwa 4400 Beschäftigte. Salzbergbau und Kaliproduktion bestimmen seit gut 100 Jahren die Wirtschaft dieser Region. Seit 1910 gibts auch das Bergmanns-Gasthaus „Zur Erholung“ (gegründet als „Gast- und Logierhaus Pforr“ der Wirts-Uroma Rosa Pforr), wo wir mit Bier, Schnitzel und Heizstrahler verwöhnt wurden. Nach dem Abendessen haben wir uns an der Schönen Aussicht am Ulstertal-Radweg oberhalb von Unterbreizbach einen Zeltplatz für eine Nacht gesucht.

Sonnabend, 16.04.2022: Unterbreizbach – Vacha – Leimbach

Gut, dass nahe bei unserem Camp eine Art Schutzwagen stand (wie eine Schutzhütte, nur als Anhänger), denn der Morgen auf der Höhe beim Hobholz war sehr kalt und windig. Von unserem Camp zur Salzhalde Hattorf waren es nur 650 m Weg, wo wir direkt am Fuß des Salzbergs den Kolonnenweg im Wald wieder fanden. Allerdings verschwinden die ehemalige Grenze und der Kolonnenweg gleich wieder, weil sie inzwischen zugeschüttet wurden. Der Salzberg (nicht zu verwechseln mit dem Obersalzberg) ist der aufgeschüttete Steinsalz-Abraum, der beim unterirdischen Salzabbau in den umliegenden Schächten anfällt. Genutzt wird hauptsächlich das Kalisalz, das in einem aufwändigen Produktionsprozess vom Steinsalz getrennt wird, das übrig bleibende verunreinigte Steinsalz und Salzlaugen (etwa 70 % des Rohsalzes) können bisher nicht gewinnbringend verarbeitet werden. Die Salzberge wurde schon seit Beginn des Abbaus aufgeschüttet: Die Halde Hattorf (zwischen Philippsthal und Unterbreizbach) ist etwa 1,5 km lang, 600 m breit und 190 m hoch, rund 200 Mio. Tonnen Abraum, seit 2018 wurde auf der Rückseite eine Haldenerweiterung aufgeschüttet. Das Grüne Band führt in etwa 100 m Entfernung entlang des südöstlichen Haldenrandes bis fast zum Eingangstor zum Betriebsgelände an deren Ende (der Salzberg ist eingezäunt und für Unbefugte nicht zugänglich). Der Grenzweg führt um die sog. Köthenäcker und steigt dann etwas unübersichtlich zur Landstraße zwischen Philippsthal-Röhringshof (Hessen) und Unterbreizbach (Thüringen) ab. Über eine Wiese haben kommt man zu einer Brücke über die Ulster und erreicht wieder den Ulstertal-Radweg, nach 500 m erreicht man die Grenze zwischen Hessen und Thüringen an einer Bahnunterführung. Hier zweigt der ehemalige Kolonnenweg nach links (Osten) vom Radweg ab und steigt auf den Lohberg. Auf der Höhe hat man einen tollen Panoramablick zurück nach Unterbreizbach vom Ulsterberg bis zur Salzhalde. Über den Lohberg führt der Unterbreizbacher Weg nach Vacha, dem Thüringer Grenzort an der Werra. Die älteste Stadt Westthüringens (jetzt etwa 5000 Einwohner) mit gut erhaltenem historischem Ortskern im hessischen Fachwerkstil wurde im 12. Jahrhundert erstmals erwähnt. Teile von Kirche, Burg, Stadtmauer, Münze und Kemenate stammen noch aus dem 12. Jahrhundert, die Fachwerkhäuser am Markt meist aus dem 15.-17. Jahrhundert, die ältesten im Wartburgkreis. Vacha entstand an einer Werra-Furt des bedeutenden historischen Handelsweges Hohe Straße/Via Regia (Frankfurt/Main – Erfurt – Leipzig), die wichtige Werrabrücke wurde in einer Urkunde von 1186 erstmals erwähnt. Die Burg Wendelstein diente zur Sicherung der Werrabrücke. Mindestens seit 1346 gab es eine Steinbrücke in zwei Teilen, 1603 wurde sie als durchgängige Brücke ausgebaut. 1945 wurden zwei Brückenbögen zur Behinderung des Vormarsches der US-Armee gesprengt, 1951-52 wieder aufgebaut. Während der DDR-Zeit lag Vacha vollständig im Sperrgebiet, Zutritt nur für Einwohner oder mit Passierschein. Unmittelbar neben der Brück verlief die DDR-Grenze zu Hessen/BRD. Die Werrabrücke war nicht zugänglich, wurde nach Westen mit einem Grenzzaun versehen, am Brückenkopf stand ein Wachturm, die Enden waren nach Hessen mit Betonmauern abgeriegelt. In der Nacht vom 11. zum 12.11.1989 wurde die Grenze und damit auch die Werrabrücke bei Vacha geöffnet, seit der Deutschen Vereinigung am 03.10.1990 wird sie auch „Brücke der Einheit“ genannt. 1993/94 wurde die historische Werrabrücke Vacha als Fußgänger- und Fahrradbrücke umfangreich instand gesetzt und denkmalgerecht saniert. Über dieses historische, bedeutende Bauwerk verläuft natürlich auch unser Weg auf dem Grünen Band. Wir sind am Brückenende aber nichts rechts zum Kolonnenweg bei Oberzella abgebogen, sondern nach links zum Philippsthaler Weidenhainer Bergpark, ein ehemaliger englischer Naturpark des Landgrafen Ernst Constantin zu Hessen-Philippsthal, der mit der Zeit verwildert ist. Der Parkweg führt von der Werra (etwa 220 m) auf den Siechenberg (365 m): schöner Ausblick zurück Richtung Rhön, Öchsen und Vacha. Nach der Thüringer Hütte führt der Waldweg Hohe Straße/Diebspfad direkt auf der hessisch-thüringischen Grenze parallel zum Kolonnenweg etwa 5 km durch den Wald. Das war ziemlich eintönig, das größte Highlight dieses Abschnitts ist der Schwarze Stock, eine Rasthütte mit Wegweiser, im Mittelalter eine markante Wegkreuzung mit Bildstöcken an der Grenze zwischen fuldischem (Heringen) und hersfeldischem (Kloster Kreuzberg) Gebiet. Am Sauberg (368 m) sind wir dann wieder in eine offenere Feld- und Wiesenlandschaft gekommen, die bei den lichten Obstwiesen bei Vitzeroda sogar richtig idyllisch aussah. Allerdings war es als ehemaliges DDR-Grenzgebiet bestimmt nicht idyllisch. Das merkte man auch unten an der Straße am Eschenbach: Die kleine Gehöftsiedelung Gasteroda innerhalb des ehemaligen Grenzgebietes wurde nach und nach durch Umsiedelung oder Flucht entvölkert. Von den ehemals 6 Gehöften gibt es heute nur noch eines, die anderen wurden abgerissen. An dieser Landstraße zwischen Gasteroda (Thüringen) und Heringen (Hessen) verläuft die Grenze zwischen Thüringen und Hessen über den Langenberg (327 m). Auf hessischer Seite ist in einem Tal im Langenberg der „Grillplatz Gemischter Chor Leimbach“ versteckt, der in Wanderapps zu finden ist. Diesen Platz mit Grill und überdachter Sitzgruppe nutzten wir zur Übernachtung.

Ostersonntag, 17.04.2022: Leimbach – Dankmarshausen – Kleinensee

Der Ostersonntag-Morgen im Langenberg-Waldtal war allerdings mächtig kalt und man musste ziemlich lange auf die Sonne warten. Bei strahlend blauem Himmel mit nur leichter Bewölkung wurde es aber später ein schöner Frühlingstag. Vom Langenberg hat man eine tolle Aussicht auf das Werratal von Heringen mit dem K+S-Werk Wintershall über die Salzhalde Monte Kali bis nach Dankmarshausen (wo wir heute hin wollten). Vom Langenberg sind wir auf hessischer Seite zur Dippacher Straße bei Leimbach abgestiegen und am Straßenrand etwa 1 km nach Norden zur Thüringisch-hessischen Grenze gegangen. Dort steht ein Schild, dass die DDR-Grenze hier am 25.11.1989 geöffnet wurde. Etwas abseits am Waldrand steht eine etwas wilde Denkmal-Pyramide aus Steinen, Streckmetall und Stacheldraht „Erinnerung an einen Irrtum“. Auf Initiative des Heringer Kunstvereins wurde es 1990 als erstes Denkmal an der ehemaligen DDR-Grenze von Anatol Herzog (Schüler und Freund von Joseph Beuys) mit Jugendlichen aufgebaut. Mit der Zeit soll es als „Schrott der Geschichte“ von der Natur überwuchert werden. Das funktioniert auch, macht aber eben auch den etwas verstörenden Eindruck einer kleinen wilden Mülldeponie. Ab hier wollten wir wieder auf dem Kolonnenweg weitergehen. Der Einstieg war aber gar nicht so leicht zu finden, denn auf den Wiesenflächen des Naturschutzgebietes Rohrlache bei Dankmarshausen war erst mal alles gleich nass und grün. Zwischen ausgebaggerten Kiesseen führt das Grüne Band auf dem Kolonnenweg bis zur Werra und mit dem Werratal-Radweg über die Werrabrücke nach Dankmarshausen rein. Auch Dankmarshausen entstand an der Werrafurt eines alten Handelsweges „durch den kurzen Hessen“ (von Frankfurt/Main nach Leipzig über Hersfeld, Berka/Werra, Eisenach, Erfurt). Der Ort wurde 1302 als Dangmerßhusen erstmals erwähnt, hat etwa 1000 Einwohner und gehört zur Gemeinde Werra-Suhl-Tal. Der hübsche historische Ortskern mit Fachwerkhäusern und der Kirche St. Kilian (von 1440) liegt auf einer Hochfläche über der Werra (vielleicht 30 m über dem Flussniveau 210 m). Für uns war das Gasthaus „Zum Adler“ die schönste Sehenswürdigkeit: offen, freie Hofplätze, kühles Bier und heißer Schweinebraten – was will man mehr? Von Dankmarshausen geht der Grenzweg zurück nach Westen (wegen der Thüringen-Blinddärme um Kleinensee). Erst gehts hinter dem Monte Kali hoch zur Hornungskuppe (444 m), auf hessischen Gebiet weiter zum Aussichtsturm Bodesruh, 1963 von Kleinensee an der Grenze als Mahnmal der deutschen Teilung errichtet: mit Blick nach Nordosten: Kleinensee (Hessen), Großensee (Thüringen), Bosserode, Wildeck und Gerstungen. Den folgenden Weg über Jagdhaus Bodesruh (eine Gaststätte) und Seulingswald wieder runter nach Osten, durch das Naturschutzgebiet Seulingssee/Säulingssee nach Kleinensee, ein hessischer Auswuchs nach Thüringen. In Kleinensee haben wir (Thüringer Wanderer) dank des unermüdlichen Einsatz‘ eines Kleinensee-Fußballfans einen Zeltplatz auf dem Sportplatz SV Kleinensee bekommen. Na ja, das Sportlerheim war nicht ganz so toll, aber die Wiese war top.

Ostermontag, 18.04.2022: Kleinensee – Bosseroder Rhäden – Gerstungen

Na klar: wieder eine arschkalte Nacht zum Ostermontag (es war immer etwas unter Null Grad), Eis-Gänseblümchen auf dem Sportplatz. Aber mit der aufsteigenden Sonne gehts. Frühstück im Sportlertheim Kleinensee: unser Restangebot ist so… la… la… nach 4 Rucksackfrühstücken. Auf dem Rück/Weiterweg durchs Naturschutzgebiet Seulingssee sieht man Wasserbüffel als Naturschützer. An der ehemaligen DDR-Grenze zu Großensee haben die Heimatvereine beider Orte ein kleine Grenz-Gedenkstätte eingerichtet: einge Relikte der Grenzanlagen blieben als Mahnmal stehen, eine Infotafel zeigt Zeugnisse der Zeitgeschichte. Der Thüringer Ort Großensee, der während der DDR-Zeit wirklich „am Arsch der Welt“ lag (also überall vom Grenzgebiet umschlossen außer einem 650 m breiten Korridor nach Dankmarshausen, natürlich auch Sperrzone), hat durch die „Abgeschiedenheit“ aber noch einige historische Fachwerkwerk-Höfe vorzuweisen, eine etwa 150-200 Jahre alte eindrucksvolle Tanzlinde und eine hübsche Kirche aus dem 14. Jahrhundert. Von Großensee führt das Grüne Band weiter nach Norden zum Grenzweg bei Raßdorf/Wildeck (Hessen) an der Bahnstrecke zwischen (Wildeck-)Bosserode und Hönebach. Der Grenzweg geht dann nach Osten, quert die Bahnlinie bei der Bruchmühle (Gedenkstein innerdeutsche Grenze), bildet einen Grünstreifen an Feldrändern. Südlich von Bosserode heißt der Kolonnenweg dann Rhädenrundweg (das haben sich die Touristiker so ausgedacht). Wir sind dann aber nach Nordwesten in den Rhäden bei Obersuhl und Bosserode abgebogen, ein Vogel- und Naturschutzgebiet auf hessischer Seite (ergänzt durch den Dankmarshäuser Rhäden in Thüringen). Diese moorastigen Wiesen wurde ursprünglich trockengelegt, um sie als landwirtschaftliche Fläche zu nutzen. Durch die Lage im Grenzgebiet war das nicht mehr möglich und die Fläche vernässte wieder. Durch die weitere Renaturierung wurde ein relativ großräumiges Feuchtbiotop-Schutzgebiet geschaffen. Für uns war natürlich interessant, dass das wasserspendende Flüsschen dieses Gebiets Suhl heißt, da fühlt man sich doch gleich heimisch.