Tour Friaul 2023: Val Saisera: Blick zum Jôf di Montasio (Foto: Andreas Kuhrt)

Rundtour Friaul 2023

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Julische Alpen bei Valbruna

Unsere 2023-Tour durch den Nordosten Italiens: Friaul/Julisch Venetien ging vom Gebirge der Julischen Alpen über das Erdbebengebiet von 1976 bei Gemona bis zur Adria bei Grado, zum Golf von Triest und schließlich durchs Sočatal in Slowenien zurück nach Nordostitalien.

Valbruna – Val Saisera – Sella Somdogna – Miezegnot-Sattel

Unser Ausgangspunkt in den Julischen Alpen war das Dorf Valbruna (Wolfsbach) bei Tarvisio (Tarvis). Mitte September dort ein Unterkunft zu finden, war nicht einfach. Gefühlt machen sie in den italienischen Alpen ab September alles dicht: die Ferien sind vorbei, die Italiener kommen nicht mehr… Die (empfohlene) Casa Julius Kugy hatte Betriebsferien… Hotel Saisera war mit Polizisten ausgebucht (keine Ahnung, was die da gemacht haben, aber abends war alles voller Polizia-Autos)… Hotel Picchio Nero war zu teuer… Unsere letzte Hoffnung: Valbruna Inn hatte sich erbarmt, unangemeldeten Reisenden eine Unterkunft für 90 €/pro Nacht (DZ) zu gewähren. Aber sie waren wirklich sehr nett, haben sogar eine Verlängerung hingekriegt. Super Frühstück, aber ich musste erst mal lernen, den Eierkocher zu bedienen… Und ganz großartig: die Grappa-Selbstbedienungsbar: man konnte sich abends selbst einen Grappa aus dem vielfältigen Angebot aussuchen und auf Vertrauensbasis abzapfen. Das kleine Dorf Valbruna (ca. 200 Einwohner) auf rund 800 m war unser Ausgangspunkt für Touren durchs Val Saisera bis zum Fuß des Montasio (Montasch) und zu Bergen und Seen der Umgebung. Zu den mehrsprachigen Ortsnamen muss man vielleicht noch anmerken, dass dieses gesamte Gebiet des Val Canale/Kanaltal bis 1919 österreichisch war und zu Kärnten gehörte. Im Dreiländereck von Österreich, Italien und Slowenien gibt’s 4 Sprachen: Deutsch/Kärntnisch, Friulanisch, Italienisch und Slowenisch.

Unsere erste Tour war durchs Val Saisera (am Österreich-Ungarischen Soldatenfriedhof des Ersten Weltkriegs vorbei) zum Parco Tematico della Grande Guerra (Themenpark 1. Weltkrieg). Im oberen Saisera-Tal waren die Weltkriegs-Stellungen der Italiener an vorderster Front. Auf der Infotafel stand auch, dass neben Kälte, Hunger, Überlastung und Auszehrung Lawinen eine tödliche Gefahr waren, dass z.B. an einem einzigen Tag, am 11.04.1915 tausende italienische und österreichisch-ungarische Soldaten Lawinenabgängen zum Opfer fielen. Unglaublich menschenverachtend ist auch, dass es zur Kriegsführung gehörte, Bergstürze und Lawinen durch Minen oder Beschuss gezielt auszulösen.

Von Valbruna aus sind es erst mal 5 km entlang des Flusses Saisera bis zum letzten Parkplatz an der Saisera-Alm (auf 1000 m). Diese Maut-Strecke kann man auch mit dem Auto oder Fahrrad fahren, dann gelten festgelegte Bergauf- und Bergab-Fahrzeitfenster (in der Sommersaison). Schon an dem kleinen Fluss Saisera fällt auf, dass die Flüsse in dieser Gegend oft ein unheimlich breites Kiesbett haben, in denen meist nur ein relativ kleiner Wasserlauf ist. Auf Luftbildern/Maps kann man das besonders an der Flüssen Meduna und Tagliamento sehen. Es kann nur so sein, dass diese Flüsse während der Schneeschmelze ungeheure Geröllmengen transportieren. Ab der Saisera-Alm führt eine Schotterpiste mit 15 Serpentinen oder abkürzend auf einem steilen Wanderweg am Rand der Saisera-Schlucht zur Rifugio Fratelli Grego auf 1385 m Höhe. Von dort ist es ein kurzes ebenes Wegstück zur Sella Somdogna (1400 m), dem Ende des Dogna-Tals unter der Montasio-Gruppe (Jôf di Montasio/Montasch, 2754 m). Wir wollten gegenüber des Montasio zum Jôf di Miezegnot (Malborgheter Mittagskofel, 2087 m) und dann vom Planja-Sattel nach Norden zur Rauna-Alm absteigen und weiter runter nach Valbruna (das hat aber nicht geklappt). Nach der Somdogna-Alm (1440 m) steigt man durch die Latschenkiefer-Zone und kommt über der Baumgrenze bei 1900 m zur Ricovero Battaglione Alpini Gemona: ein Kriegsdorf/Battaillonsunterkunft der italienischen Gebirgsjäger aus Gemona im 1. Weltkrieg. Es gibt meist nur noch Ruinen, aber die ehemalige Kapelle der Stellung wurde als Schutzhütte für Wanderer ausgebaut: mit tollem Ausblick zum Montasio und ins Dogna-Tal. Ein kurzer, aber bröselig-rutschiger Aufstieg führt von dort zum Miezegnot-Sattel (2000 m) unter dem Miezegnot-Gipfel. Hier oben mit Blick nach Norden ins Kanaltal (wo die feindlichen österreichisch-ungarischen Truppen waren) gab es entlang der ganzen Bergkette Beobachtungsposten der Italiener im 1. Weltkrieg: Grundmauern, Unterstände, Stollen und Höhlen sind überall zu finden. Die Aussicht (laut Wegbeschreibung) auf ungesicherte, sehr bröselige Kletterstellen und das Donnergrollen aus Richtung Dogna-Tal überzeugten uns, die Miezegnot-Gipfel-Grat-Überschreitung abzubrechen und schleunigst wieder in das 1000 m tiefer gelegene Saisera-Tal abzusteigen. Daraus wurde dann als Eingehtour eine 30-km-Wanderung mit je 1200 m im Auf- und Abstieg…

Fusine-Seen – Cave del Predil – Lago del Predil – Altopiano del Montasio

Am nächsten Tag war erst mal Sonne und Erholung angesagt: Sonnenaufgang am Montasio, Erholung an den Fusine-Seen (Weißenfelser Seen), etwa 18 km von Valbruna nach Osten, nahe der slowenischen Grenze. Da ist es wirklich schön: zwei kleine klare grüne Bergseen im Wald mit der Bergkulisse der slowenischen Mangart-Gruppe (Mangart 2679 m) im Hintergrund, im Sommer vielleicht überlaufen, im September aber ziemlich ruhig.

Rund 10 km weiter westlich, zwischen Valbruna und dem Fusine-Seetal verläuft das Tal der Slizza (Gailitz) in Süd-Nord-Richtung (mündet bei Arnoldstein/Kärnten in die Gail). In diesem Tal liegt der idyllische Lago del Predil (Raibler See). Auf dem Weg dahin kommt man durch Cave del Predil (Raibl), ein ehemaliger Bergwerksort, der jetzt ziemlich heruntergekommen, trostlos und absterbend wirkt. Ehemals war im österreichischen Raibl die größte Zink- und Bleimine der Alpen. Österreichische und slowenische Bergarbeiter arbeiteten in bis zu 1000 m tiefen Stollen unter dem Königsberg (Monte Re). Slowenische Arbeiter kamen sogar durch einen 5 km langen Stollen unter dem Predilpass aus Log pod Mangartom (Brettendorf) zur Arbeit im Bergwerk. Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Kanaltal Italien zugeschlagen, die Bevölkerung durch Umsiedlung italienisiert. 1991 wurde das Bergwerk endgültig geschlossen und das Besucherbergwerk „Parco Internazionale Geominerario Cave del Predil“ (Internationaler geologischer Bergwerkspark) eingerichtet: auf dem Außengelände wurde ein paar Grubenbahnen und Fördergeräte aufgestellt und man kann ca. 1000 m Stollen besichtigen (mit Voranmeldung), der Blick auf die verfallenden Bergwerksgebäude am Berghang des Kleinen Königsbergs (Piccolo Monte Re) ist gratis. Nach der Schließung des Bergwerks hat ein Großteil der Bevölkerung den Ort verlassen (1999 waren es noch etwa 450 Einwohner). Cave del Predil hat noch ein Bergbaumuseum, ein militärhistorisches Museum der Julischen Alpen, eine Bergarbeiterkneipe, ein Café, einen Einkaufsladen, einen Kinderspielplatz und zwei Kirchen (St. Anna von 1550 und eine neue von 1966). Sehr interessant sieht der Raibler Fünfspitz aus, fünf Berggipfel um 1900 m direkt über dem Tal bei Raibl. Etwa 2 km talaufwärts (am Rio Lago/Seebach) liegt der Lago del Predil (Raibler See) zwischen 1600 bis 1800 m hohen Bergen. An den Kiesstränden im Norden und Süden kann man baden und Wassersport betreiben. Direkt neben dem See verläuft die italienisch-slowenische Grenze mit dem Grenzübergang am Predilpass.

Wenn man dem Seebachtal weiter bergauf nach Südwesten folgt, kommt man zum Neveasattel (Sella Nevea, 1195 m) mit einem künstlichen Skiressort-Ort. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn dort nicht die Hochstraße zum Altopiano del Montasio abzweigen würde. Das ist eine Hochebene südlich der Montasio-Gruppe auf etwa 1550 m Höhe. Die Hochfläche wird als Weide für Rinder und Schafe genutzt, es gibt die Alm Malga Montasio, der Montasio-Käse ist im Friaul sehr beliebt. Die Berghütte Giacomo di Brazzà (1660 m) ist Ausgangspunkt für Bergsteiger zum Jôf di Montasio (2754 m), Cima di Terrarossa (2420 m) und zu anderen Gipfel der Montasio-Gruppe. Giacomo di Brazzà war ein adliger Naturforscher, der 1881 den heutigen Normalweg zum Montasio über die Forca verde erstbestiegen hat.

Val Dogna – Forchia di Cjanalot (Piper-Scharte)

Vom Nevea-Sattel führt die Landstraße SP76 18 km weiter durch das abgelegene Raccolana-Tal (das Giacomo di Brazzà auch erforscht hat) nach Raccolana/Chiusaforte am Fella-Fluss. Im engen Raccolana-Tal gibt es zwischen mehr als 2000 m hohen Bergketten jede Menge Seitenflüsse und Wasserfälle. Zwischen dem Raccolana-Tal im Süden und dem Kanaltal im Norden erschließt das Dogna-Tal vom Ort Dogna (an der Fella) aus das das Gebiet nördlich des Montasio bis zum Somdogna-Pass (da waren wir schon vom Saisera-Tal aus). Das Tal ist Luftlinie nur etwa 10 km lang, aber die Straße schlängelt sich in unglaublich vielen Windungen und Serpentinen über 18 km durchs Tal. Unterwegs kommt man an mehreren italienischen Stellungen aus dem 1. Weltkrieg vorbei, u.a. an betonierten Schützengräben, Wehrgängen und Höhlen bei der „Linea Difensiva dei Plans“, einer Verteidigungsstellung und Versorgungsstützpunkt für die Alpini Gemona im Montasio-Gebiet. Von einem Felssporn aus hatte man das Dogna-Tal und die Straße unter Kontrolle. Rund 2 km weiter talaufwärts sind wir von der Alm Plan dei Spadovai (1115 m) aus am Rio Cjanalot aufwärts zur Forchia di Cjanalot (Piper-Scharte, 1814 m) gewandert, immer im Blick: die Montasio-Nordflanke über dem Val Dogna. Die Piper-Scharte war im 1. Weltkrieg ein weiterer Beobachtungsposten der italienischen Alpini ins österreichische Kanaltal.

Monte Lussari

Eine Tour haben wir bei Valbruna noch gemacht: aufgrund des Tipps eines „Insiders“ („bei David gibts immer was Gutes, Fleisch, Fisch, Nudeln – was ihr wollt“) sind wir zum Monte Lussari (Luschariberg, 1788 m) aufgestiegen: da sind ein paar Gasthäuser und Hotels um eine Wallfahrtskirche versammelt. Weil in der Nachsaison die Seilbahn nur am Wochenende fährt, sind wir auf der Direttissima von Valbruna durch den Bergwald über die Limerca-Alm aufgestiegen: 950 Höhenmeter auf etwa 3 km Wegstrecke, Halleluja. Zwischendurch haben wir noch Schutz vor den Regenschauern in der Seilbahn-Mittelstation gefunden. Der auf der anderen Bergseite aufsteigende Büßerweg von Camporosso aus war früher die einzige Möglichkeit auf den Berg zu gelangen. 1360 soll ein Schafhirte eine kleine hölzerne Madonnenfigur auf dem Monte Lussari gefunden und sie zum Pfarrer in Camporosso gebracht haben. Am nächsten Tag soll sie wieder oben gelegen haben und am übernächsten wieder. Daraufhin wurde an der Stelle eine Kapelle erbaut, die durch einen regen Pilgerstrom zum Marien-Wallfahrtsort wurde. An Stelle der Kapelle wurde im 16. Jh. die Wallfahrtskirche Monte Lussari errichtet, Millionen Pilger sollen seitdem oben gewesen sein. In den Weltkriegen wurde die Kirche zerstört und danach wieder aufgebaut. Mit dem Bau der Seilbahn hat sich die Besucherzahl noch mal erhöht. Aber es wurde auch viel touristischer mit Gasthöfen, Bars, Andenkenladen, Sportladen, Skilift und Abfahrtshang. Davon war aber nichts zu bemerken als wir oben waren, es war alles komplett geschlossen: Kirche, Gaststätten, Seilbahn… Uns blieb nur der etwas wolkenverhangene Rundumblick vom Gipfelkreuz und der Rückweg über die Lussari-Straße ins Val Saisera. Diese Bergstraße mit rund 900 m Anstieg in 18 Serpentinen auf vielleicht 6 km war im Mai 2023 die vorletzte Etappe des Giro d’Italia (Einzelzeitfahren von Tarvisio zum Monte Lussari). Der Slowene Primož Roglič (Rogla, früher Skispringer) gewann diese Etappe und wurde dann auch Giro-Sieger. Extra für diese Etappe wurde die ursprüngliche Schotterpiste betoniert.

Als wir an diesem Tag nach der 7-Stunden-Wanderung hungrig und völlig durchnässt zum Valbruna Inn zurückkamen, stand fest, dass wir am nächsten Tag das Gebirge in Richtung Süden auf der Suche nach Sonnenschein verlassen.

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2022 Estland: Hiiumaa: Halbinsel Kõpu: Palli Strand (Foto: Andreas Kuhrt)

Rundtour Estland 2022

Unser Urlaubsziel Estland ist etwas kurios-spontan entstanden. Eigentlich wollten wir ja ein Stück auf dem Alpe-Adria-Trail wandern. Dann gabs aber Nachrichten von überfüllten Alpenhütten und sauteurem Bier: da war ich raus. Ich erinnerte mich an eine tolle Band beim Rudolstadt-Festival 2022: Trad.Attack! aus Estland. Beim Umherforschen über die Musiker Sandra und Jalmar Vabarna + Tõnu Tubli hatte ich rausgefunden, dass Sandra Vabarna und ihre Mutter Ene Sillamaa bei Viljandi in Estland den alten Bauernhof Männiku Metsatalu (Kiefernwald-Hof) als Ferienunterkunft betreiben. Zwei Wochen später sind wir mit der Fähre Stena Nordica in 20 Stunden von Travemünde über die Ostsee nach Liepāja in Lettland geschippert (etwa 700 km). Nach einer Nacht auf dem schön-einsamen Zeltplatz Rūgumi direkt an der Ostseeküste 14 km nördlich von Liepāja (Lichtjahre von Mecklenburger Ostsee-Zeltplätzen entfernt) mussten wir noch gut 400 km nach Südestland fahren. Zwischendurch waren wir noch in Riga: gefällt mir nicht so: laut, verkehrsreich und etwas zusammengewürfelt, der Dom ist eindrucksvoll und die Uferpromenade an der Daugava (Düna) ganz nett.

Unsere Ferienunterkunft für die erste Woche, Männiku Metsatalu (Kiefernwald-Hof | www.metsatalu.ee) ist ein einsam auf einer Waldlichtung gelegener Bauernhof mit einigen historischen Holzhäusern, die von den Betreibern (Sandra Vabarna und ihre Mutter Ene Sillamaa) liebevoll restauriert und eingerichtet wurden. Wir hatten eine kleine Ferienwohnung in der „Bauernsuite“, ein Holzblockhaus mit irgendwie musealer Einrichtung. Im Nachbarzimmer stand ein alter Handwebstuhl.

Da kann man gleich drei estnische Leidenschaften anmerken: Weben, Chor-Singen und Schaukeln. Weben: Estland ist berühmt für die vielfältigen und speziellen Web- und Strickmuster. Schaukeln (Kiiking: Schwingen): fast überall gibt es riesige Schaukeln für etwa 10 Leute für regelrechte Schaukelwettbewerbe oder wenigstens aufgehängte Schaukelbänke. Singen: jeder Ort, der etwas auf sich hält, hat eine öffentliche Gesangsarena, eine Art Odeon für Chorfestspiele.

Schaukel auf dem Burgberg in Viljandi: da muss man sich zu zweit ganz schön reinhängen (Video von akut.zone)

Natürlich gibts so eine Gesangsarena auch in der Kleinstadt Viljandi (etwa 17200 Einwohner, deutsch: Fellin, ehemalige Hansestadt), wo wir zuerst waren. Viljandi hat nämlich die Fakultät für traditionelle Musik der Universität Tartu. Und da haben auch die drei Trad.Attack!-Musiker studiert. Viljandi ist es eine hübsche Stadt mit noch vielen Holzhäusern (die teilweise auf die Renovierung warten), vier Kirchen, viel Grün und einer Ruine der einst mächtigen Deutschorden-Burg Fellin (ab 1224 erbaut, Herrschersitz der deutschen Kreuzritter, Moskoviter, Polen und Schweden). Bemerkenswert waren noch Begegnungen im sehr empfehlenswerten Café Roheline Maja (Grünes Haus), wo sich gleich ein Gast als deutsch-estnischer Übersetzer angeboten hat. Das war ein deutscher Musik-Hochschullehrer in Viljandi und Riga (Christoph Felix Schulz aus Münster, glaub ich), der u.a. auch die Musiker von Trad.Attack! unterrichtet hatte. Eine zweite nette Bekanntschaft war Hela (die Schwester des Café-Besitzers), die lange Zeit in Deutschland gelebt hatte und nun wieder zuhause in Viljandi wohnt und jede Gelegenheit zum Deutsch-Sprechen nutzt. Sie hat uns auch gleich sehr herzlich in ihre kleine Wohnung nebenan eingeladen und ihre Malereien gezeigt. Nach einer Stunde kannten wir fast ihr ganzes bewegtes Leben.

Am nächsten Tag haben wir eine Fahrradtour durch die ziemlich flache Wald- und Seenlandschaft Estlands gemacht (Estlands höchster Berg ist mit 318 m der Suur Munamägi = Großer Eierberg ganz im Südosten, wo wir nicht waren). Schließlich sind wir zum Heimtali-Museum gekommen, ohne zu wissen, was es ist. Das war ursprünglich eine kleine Dorfschule, die in den 1980er Jahren als Heimat-Museum eingerichtet wurde. In den 1990er Jahren wurde es Textilmuseum der Sammlung von Anu Raud, der berühmtesten estnischen Textilkünstlerin. Es gibt alles aus Schafwolle: am estländische Wollhandschuh-Muster kann man die Herkunft des Trägers erkennen, sie sehen klasse aus, kratzen aber auch ganz schön. Webmuster geben Auskunft über die regionale Herkunft. Die kleine Insel Kihnu ist der Hotspot der Weberei. Die Streifenmuster der Röcke haben einen Farbcode: viel Rot = jung und gesund, mehr dunkel = älter oder in Trauer. Und in einem Spielzimmer waren gestrickten Spieltiere von Anu Raud versammelt. Manu hatte erst am Tag vorher ein Strickmuster-Wälzer von Anu Raud gekauft: und hier gabs das Alles zum Anfassen (mit Handschuhen wegen der Motten). Inzwischen gehört das Heimtali-Museum zum estnischen Nationalmuseum (in Tartu).

Estland ist ein Naturland: die Hälfte der Fläche ist mit Wald bedeckt (45 227 km²). Weitere 20 % sind Moore, die meist als Nationalparks geschützt sind. Allein der Soomaa-Nationalpark (Soomaa heißt einfach Moorland) mit 5 großen Mooren erstreckt sich über eine Fläche von etwa 15 x 10 km. Das ist mal Weite: bis zum Horizont Moorwiesen, die mit kleinen Kiefern gesprenkelt sind, und Moorseen. Die Wanderwege sind mit Bohlenstegen erschlossen, an den Seen gibts kleine Picknick- und Badeplätze und wer mag, kann mit Mooschuhen quermoorein gehen (bei uns alles undenkbar). Wir waren im Kuresoo (Storch-Sumpf) und Riisa-Moor. Der Wanderweg am Raudna jõgi (Raudna-Fluss, Nebenfluss der Halliste) war im September nicht so spannend. Aber zum Frühjahrs-Schneeschmelze ist dieses Gebiet für die Überschwemmungen bekannt, so dass die Dörfer und Gehöfte nur noch mit Booten erreicht werden können (es gibt hier noch traditionelle Einbaum-Bootsbauer).

Einen Tagesausflug haben wir nach Tartu gemacht (80 km östlich von Viljandi): mit knapp 100000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt nach der Hauptstadt Tallinn. Tartu hat die erste, größte und älteste Universität Estlands mit etwa 14000 Studenten: 1632 unter Gustav II. Adolf von Schweden in der damaligen Hansestadt Dorpat gegründet. Zur Uni gehört noch ein botanischer Garten, der ganz hübsch ist. Tartu wirkt eher gemütlich, aber auch jung und ein bisschen cool: wo gibts sonst noch einen Brunnen mit „Küssenden Studenten“ auf dem Marktplatz (Bildhauer: Mati Karmin, 1998). Das Freizeit-Forschungs-Zentrum AHHAA schien ganz interessant. Wir sind allerdings nur bis zum Riesenstuhl und -tisch gekommen, an dem man sich wie ein Kind fühlen kann: alles ist zu groß und kaum erreichbar. Es gibt viele Studentenkneipen (z.B. Genialistide Klubi: Club der Genies) und den Szenehof Kastani 42 mit Kneipen, Galerien, Clubs und einer Whisky-Manufaktur. Aber der Hammer ist das 2016 fertiggestellte neue Estnische Nationalmuseum: ein 15 m hoher, 70 m breiter, 355 m langer Glaskasten, der in die Landebahn des ehemaligen russischen Bomber-Militärflugplatzes Raadi hineingebaut wurde (Architekten: Dorell.Ghotmeh.Tane, Paris). Das sollte erst woanders, an einem repräsentativeren Platz gebaut werden, aber die Architekten wollten es unbedingt so, als Zeichen der Aufarbeitung des estnischen Traumas der russischen Besetzung und der Wiederaneignung der estnischen Identität.

Unsere Estland-Rundfahrt führte uns weiter nach Nordosten am riesigen Peipussee entlang (etwa 75 x 35 km groß), die Grenze zu Russland. Die Ufer sind erstaunlich unverbaut und kaum genutzt: ein paar einfache Campingplätze und Dorf-Strände, das wars. Unser Ziel war das größte aktive Kloster Estlands: das russisch-orthodoxe Nonnenkloster Maria Himmelfahrt in Kuremäe (1891 gegründet) in Nordestland (nur rund 20 km von der russischen Grenze entfernt). Ein Reiseführer-Bild hatte uns auf die Spur gebracht. Auf dem eindrucksvollen Klostergelände mit etwa 20 Häusern und einer großen Kathedrale der Himmelfahrt der Jungfrau Maria leben etwa 100 Nonnen und Novizinnen. Das Klostergelände ist zwar ummauert und wirkt mit den Tortürmen wie eine Burg, aber durch eine Pforte frei zugänglich. Und man kann nach Belieben umherstreifen und den Nonnen beim Klosterleben zusehen. Die meisten Klostergebäude sind zwar nur mit Führung zugänglich, aber die Kathedrale ist für Besucher offen (für Frauen natürlich wieder nur in Vollverkleidung: langer Rock, bedeckte Arme, Kopftuch). Fotografiert werden mögen die Nonnen nicht so und gehen den Besuchern lieber aus dem Weg. Aber man kann auch in der Pilgerherberge übernachten.

Abends sind wir noch ins 185 km entfernte Tallinn gefahren: die Hauptstadt Estlands (etwa 435000 Einwohner) am Finnischen Meerbusen (davon hatte ich mir mehr versprochen, aber es ist einfach nur Wasser). Dort mussten wir uns erst mal eine bezahlbare Bleibe suchen: das Hotel Citybox und Parkplätze sind nur online buchbar. Im Hafengelände wird gerade auf Teufel-komm-raus alles umgekrempelt und hip-neu bebaut: schöne neue Geschäfts-Welt. Aber Tallinn hat auch eine wunderbar erhaltene mittelalterlich Altstadt (UNESCO-Weltkulturerbe). Tallinn wurde im 11. Jahrhundert als estnischer Handelsplatz am Meer und Burg auf dem Domberg Toompea gegründet, 1219 von Dänen und später deutschen Schwertbrüderorden und Kreuzrittern erobert und als Hansestadt Reval ausgebaut. Im alten Stadtkern innerhalb der Stadtmauer kann man sich einfach treiben lassen und in den alten Gassen auf Entdeckungsreise gehen. Sehenswürdigkeiten, Kirchen, Museen, Galerien, Gaststätten, Geschäfte gibts jede Menge.

Aber eineinhalb Tage haben uns gereicht. Wir wollten wieder nach Estland: unsere Gastgeberin in Männiku Metsatalu meinte, Tallinn ist nicht Estland, Tallinn ist eine Großstadt. In der verbleibenden Zeit wollten wir die großen Ostseeinseln Hiiumaa und Saaremaa in Westestland besuchen. Da kann man mit Autofähren hinfahren, sie lassen sich aber auch hervorragend mit Fahrradtouren erkunden: kleine nette Orte, viel Wald, endlose Strände und idyllische RMK-Campingplätze. Das sind Campingplätze in schöner landschaftlicher Lage, die von der nationalen estnischen Forstbehörde bewirtschaftet werden. Diese Campingplätze sind tatsächlich kostenlos. Es gibt immer einige Grill-/Feuerstellen (mit schwenkbarem Rost), überdachte Picknicktische, einen Holzvorrat, ein Trockenklo und Abfallcontainer: fertig ist das Camperglück. Auf den beiden Inseln sind wir nach touristischen Wegweisern Fahrrad gefahren oder gewandert. Ein Ziel war dabei, die schönsten Leuchttürme zu „sammeln“. Leider hatten wir dafür nur noch 5 Tage Zeit und mussten uns dann schweren Herzens losreißen und losreisen.

Zur zweitgrößten Insel Hiiumaa (etwa 55 x 45 km) kommt man vom Hafen Rohuküla (etwa 100 km südwestlich von Tallinn). Mit der Autofähre fährt man in 1,5 Stunden die etwa 21 km über die Ostsee-Meerenge Väinameri (das heißt: Meerenge, wer hätte das gedacht) nach Heltermaa auf Hiiumaa (die Endung …maa bedeutet …land, Hiiumaa müßte demnach Halloland (?) heißen). Auf Hiiumaa hatten wir uns den RMK-Campingplatz Palli auf der westlichen Halbinsel Kõpu ausgesucht: ziemlich abgelegen, ruhig, mit etwas Sandstrand nach Nordwesten (wegen der romantischen Sonnenuntergänge, hat auch gut geklappt). Die staatliche Forstbehörde RMK bewirtschaftet nicht nur die Wälder in Estland, sondern ist auch für Wanderwege und eigene öffentliche Campingplätze zuständig. Diese liegen in landschaftlich schöner Umgebung und sind einfach eingerichtet: Trockenklo, Abfallcontainer, haben meist Feuer-Stellen (mit Grillrost), Holzvorrat, überdachte Picknicktische und sind: kostenlos zu nutzen. Von Palli aus konnte man die Kõpu-Halbinsel gut mit dem Fahrrad erkunden. In der Mitte der etwa 20 x 5 km großen Halbinsel steht am höchsten Punkt der Kõpu tuletorn (Leuchtturm): der drittälteste noch betriebene Leuchtturm der Welt: 1505-31 auf Betreiben der Hanse erbaut. Mit 103 m üNN (67 m hoher Hügel Tornimägi + 36 m hoher Turm) ist es auch eines der höchsten Leuchtfeuer an der Ostsee. Eines unserer „Hobbys“ auf den estnischen Inseln war das „Leuchtturm-Sammeln“: wir wussten inzwischen, dass es dort viele spezielle und sehenswerte Leuchttürme gibt. 10 km weiter westwärts an der Küste gabs den Ristna-Leuchtturm: eine gusseiserne Konstruktion, die im russischen Auftrag 1873 in Paris angefertigt und 1874 auf Hiumaa montiert wurde (30 m hoch). Er dient der Eiswarnung auf der vielbefahrenen Schifffahrtsroute zwischen Estland, Finnland und Schweden. Auf dem Campingplatz Palli haben wir auch noch Walter (und Frau und Hund) aus Regen/Zwiesel kennengelernt: einen Motorrad- und Caravan-Weltenbummler, der früher weltweit Rotel-Reisebusse gefahren hat. Über seine Reisen und seine Karriere als Skiläufer und -lehrer hat er uns beim Lagerfeuer und einigen Flaschen/Packs Wein spannende, fast unglaubliche Geschichten erzählt. OK, die nächste Nacht war nicht ganz so idyllisch, wenn am Wochenende ein Dutzend Einheimische mit Partyzelt, Dieselgenerator und Lautsprecherboxen anrücken. Aber wir wollten danach sowieso weiter. Ganz an der Nordspitze von Hiiumaa gibts noch einen alten gusseisernen Leuchtturm Tahkuna, der auch 1871 von der damaligen russischen Regierung Estlands in Auftrag, 1873 gebaut und 1875 montiert wurde (wie Ristna, nur größer: 43 m). An der nördlichen Hiiumaa-Landspitze Tahkuna gibts aber auch noch ein Denkmal: ein schräges Eisengestänge, in dem eine kleine Glocke an einem Pendelbalken aufgehängt ist (bei starkem Wind soll die Glocke von allein läuten). Das Denkmal stammt wieder (wie das küssende Studentenpaar in Tartu vom Bildhauer Mati Karmin) und ist den Kindern gewidmet, die beim Estonia-Schiffsunglück 1994 ums Leben kamen. Am 28.09.1994 ist die Fähre „Estonia“ bei der Überfahrt von Tallinn nach Stockholm bei stürmischer See im Finnischen Meerbusen zwischen Hiiumaa und Südfinnland nach Wassereinbruch gesunken. 852 Menschen sind ertrunken oder im kalten Wasser erfroren (nur 137 konnten gerettet werden). Von 15 Kindern (unter 15 Jahren) an Bord überlebte nur ein einziger Junge. Tahkuna an der nördlichsten Spitze von Hiiuma ist in Estland der Unglücksstelle in der Ostsee vor der finnischen Insel Utö am nächsten, etwa 60 km entfernt.

Am nächsten Tag wollten wir noch auf die südliche Nachbarinsel Saaremaa. Dazu kann man vom kleinen Hafen Sõru im Süden von Hiiumaa mit der Fähre nach Triigi im Norden Saaremaas übersetzen. Um schon etwas näher am Hafenort zu sein, wollten wir uns einen Zeltplatz im Süden von Hiiumaa suchen. Dabei kamen wir durch das Dorf Käina (mit etwa 700 Einwohnern der zweitgrößte Ort auf Hiiumaa). Auffällig war dort ein Gebäude mit einer Art Blechzungen-Stachelfassade, das ich zuerst wegen der Form für eine „neumodische“ Kirche gehalten hab. Die vorgehängte Blechfassade besteht aus freigestanzten Blechzungen, die unterschiedlich aufgebogen wurden: das macht einen auffällig-merkwürdigen stacheligen Eindruck. Es ist das 2020 gebaute Erlebniszentrum Tuuletorn (Windturm, auch als Karottenreibe bezeichnet): darin gibts u.a. die höchste Indoor-Kletterwand des Baltikums (in einem 700-Einwohner-Dorf!) An der Küste südlich von Käina haben wir dann auch noch den schönen RMK-Campingplatz Sääretirbi (Schienbein) gefunden: wenn Hiiumaa im September schon sehr ruhig ist, ist man auf der Landzunge Sääre tirp noch mal einen Zacken alleiner, also völlig einsam. Der Schienbein-Name hat seinen Grund: Sääre tirp ist eine etwa 2 km lange Landzunge aus Kieselsteinen, die sich von anfangs etwa 75 m Breite auf einen Fußbreit verengt, bevor sie im Meer verschwindet, krass.

Am nächsten Tag sind wir vom dörflich-beschaulichen Häfchen Sõru mit der Fähre zur Nachbarinsel Saaremaa rübergefahren. Saaremaa heißt schlicht Inselland (die Esten scheinen mit ihrer Namensgebung sehr pragmatisch zu sein) und ist mit etwa 95 x 45 km Ausdehnung die größte estnische Insel. Inzwischen wussten wir ja, dass man auf den RMK-Campingplätzen immer gut unterkommt. Wir haben uns wieder einen Platz möglichst im Westen mit Blick zum Sonnenuntergang gesucht. Saaremaa ist aber nicht ganz so übersichtlich wie die Insel Hiiumaa. Deshalb sind wir erst mal nur bis zur Tagalaht-Bucht gekommen (heißt sowas wie „hinterer Schacht/Hinterhof“), also die letzte Inselbucht vor dem offenen Meer. An der kilometerlagen Sandpiste im Osten der Bucht gabs drei RMK-Plätze, den zweiten haben wir genommen. Mitten im Kiefernwald-Nirgendwo der Abula-Gegend gabs eigentlich keine Camper, außer den Weltenbummler Walter aus Regen/Zwiesel/Bayern mit Frau und Hund in ihrem Caravan, mit dem wir schon im RMK-Camp Palli (vor drei Nächten) eine weinselige Geschichten-Nacht erlebt haben (er war weltweiter Rotel-Reisen-Fahrer, bayerischer Skifahrer und -lehrer, Island-Motorrad-Durchquerer und was weiß ich nicht noch alles… (schönen Gruß aus Suhl, Danke für die interessanten Geschichten). Auf Saaremaa haben wir in unseren letzten beiden Urlaubstagen erst mal den nördlichen Vilsandi-Nationalpark erwandert: eine einfache 10-km-Küstenwanderung: viele Pilze, viel Sandstrand, der schiefe Leuchtturm von Kiipasaare (durch Sturmfluten „entstrandet“ und abgekippt). Unser letzter Zeltplatz in Saaremaa/Estland war noch ein bisschen weiter südlich bei Käkisilma an der Westküste von Saaremaa (wegen der Sonnenuntergänge), aber eben nicht richtig draußen, weil man mit dem Auto nicht weiter kam. Dieser Campingplatz liegt sozusagen „am Arsch der Saaremaa-Welt“, weiter geht es nicht mehr. Dachte ich, bis ich Nachts ein Stück des Vilsandi-Wanderwegs erkunden wollte: nach 250 m stand ich plötzlich im Wasser. Also: der Wanderweg zur Insel/Dorf Vilsandi führt über rund 5 km schon da lang, aber dazwischen sind 6 mehr oder weniger tiefe und lange Wasserdurchquerungen (ohne Brücken): also eine echte „Wasserwanderung“. Aber leider war unsere Estland-Exkursion nach 2 Wochen schon zu Ende und wir mussten am nächsten Tag zurück zur Fähre nach Liepāja in Lettland. Eine Fähre brachte uns vom Hafen Kuivastu ins 7 km entfernte Dorf Virtsu auf dem estnischen Festland. Von da…

sind wir mit einen Zwischen-Mahlzeit-Besichtigungs-Stopp in der Ostsee-Kurstadt Pärnu in einem „Ritt“ zurück nach Liepāja gefahren. Höhepunkte der Fähr-Rückfahrt nach Travemünde war ein spendiertes Stück Kuchen zum 60jährigen Betriebsjubiläum der Fährgesellschaft Stena und ein kleiner Tornado auf dem Meer vor Rügen. Schade: Urlaub schon wieder rum, aber interessant, erlebnisreich, oft überraschend und schön wars in Estland.

Grünes Band Thüringen 2022: Morgens bei Geisa (Foto: Andreas Kuhrt)

Osterwanderung Grünes Band Thüringen 2022

Über Ostern 2022 haben wir unsere Wanderung entlang des Grünen Bandes Thüringen fortgesetzt: von Walkes nach Gerstungen durch die Thüringer Rhön, eine Strecke von 100 km in 5 Tagen.

Donnerstag, 14.04.2022: Walkes – Geisa

2021 hatten wir unsere Osterwanderung bei Seeleshof beendet, ein 1974 geschleifter Gutshof im ehemaligen DDR-Grenzgebiet zu Hessen zwischen Walkes (Thüringen) und Habel (Hessen). Unsere 2022-Osterwanderung haben wir 1 km weiter südwestlich in Walkes begonnen, ein kleines Dorf (etwa 60 Einwohner) im westlichsten Thüringer Zipfel nach Hessen. Die Gegend ist wirklich sehr abgelegen und mit Bahn/Bus von Suhl aus nur sehr umständlich zu erreichen, so dass wir uns die 70 km mit dem Auto haben hinbringen lassen. Walkes liegt etwa 1 km vom Grünen-Band-Wanderweg an der ehemaligen Staatsgrenze der DDR entfernt. Wir sind auf einem Feldweg zwischen Rinderkoppeln zum Tannenberg-Seelesberg (Naturschutzgebiet seit 1990) aufgestiegen. Auf der Höhe trifft man auf den Kolonnenweg entlang der Grenze, dem das Grüne Band meistens folgt. Der Kolonnenweg (für die Kontrollfahrten der Grenzsoldaten) besteht oft aus Beton-Gitterplatten, die wegen der Löcher blöd zu laufen sind (man sucht sich meist Trampelpfade daneben), aber mit den durchwachsenden Pflanzen auch hübsch aussehen: wie kleine Beete, wenn frische Grasbüschel oder Veilchen herausgucken. Nach 2 km um den Tannenberg-Seelesberg herum kommt man zum Ahornplatz, eine rustikal möblierte Waldlichtung (gut für ein Picknick) direkt auf der Grenze zwischen Walkes (Thüringen) und Obernüst (Hessen). Hier gibts einen Gedenkstein zur Grenzöffnung im November 1989. Unser nächstes Ziel war das Hohe Kreuz auf dem Rößberg (640 m, liegt etwas abseits vom Grünen Band) bei Ketten, ein toller Aussichtspunkt zur Thüringer Kuppenrhön im Ulstertal. Der nächste Abstecher vom Grünen Band führte uns nach Reinhards: 23 Einwohner, 5 Häuser, 5 Höfe (einer davon: Wassermannshof für Ferien auf dem Bauernhof), 2 Marienfiguren, eine Kapelle, ein Brunnen, eine Bushaltestelle. Reinhards ist der westlichste Ort Thüringens (früher der westlichste der DDR). Neben Hunden, Katzen und Hühnern haben wir in Reinhards auch einen Grünes-Band-Wanderer getroffen, ich glaub, den einzigen bisher. An der Wegkreuz- und Marienfiguren-Dichte erkennt man deutlich die katholische Prägung des Geisaer Landes (alle Orte im Umkreis gehören als Ortsteile zu Geisa). Etwas außerhalb von Reinhards ist die Kapelle Mariä Heimsuchung mit dem Wegkreuz davor ganz interessant, 1853 von der Familie Wassermann gestiftet. Ab dem Grenzknick bei Reinhards wendet sich der Wanderweg auf dem Grünen Band nach Norden. Der Kolonnenweg führt durch den Wald im Naturschutzgebiet Teufelsberg-Pietzelstein (auch 1990 eingerichtet). Am Geisbach bei Geismar kommt man wieder in offenes Feld-und-Wiesen-Gelände. Dort steht auch noch ein ehemaliger Grenzwachturm. Der hessische Rhön-Ort Setzelbach reicht direkt bis an die Thüringer Grenze ran. Inzwischen wars beim Wanderkilometer 20 halb Sieben, wir hatten Hunger und es war kein Gasthaus in Sicht. Es gab die Alternativen, den Grenzbogen bei Wiesenfeld auszulaufen (da gibts über die nächsten Kilometer keinen Ort) oder nach Rasdorf (in Hessen) oder nach Geisa (in Thüringen) zu gehen. Wir haben uns für Geisa über Wiesenfeld entschieden. In Geisa war am Freitag vor Ostern aber auch irgendwie tote Hose: die Geisschänke, Linde und Goldener Stern waren geschlossen. Unsere Rettung war die Pizzeria Zur Krone. Nachts um 9 haben wir dann noch ein Zeltplätzchen bei Geisa in Richtung Point Alpha gefunden.

Karfreitag, 15.04.2022: Geisa – Point Alpha – Unterbreizbach

Am nächsten Tag hatten wir einen tollen Sonnenmorgen über Geisa und dem Ulstertal. Von unserem Camp am Picknickplatz am Waldrand waren es nur 700 m den Rasdorfer Berg hoch zum Haus auf der Grenze der Gedenkstätte Point Alpha. Zwischen Geisa (Thüringen) und Rasdorf (Hessen) war zur DDR-Zeit der von den DDR-Grenzern streng bewachte und vom Bundesgrenzschutz und US-Amerikanern beargwöhnte westlichste Grenzabschnitt zwischen der DDR (Warschauer Pakt) und der BRD (NATO). Nach dem Anfang der 1950er Jahre eingerichteten US-amerikanische Beobachtungsposten heißt die Grenz-Gedenkstätte Point Alpha. Dort gibt es eine Ausstellung im Haus auf der Grenze, den ehemaligen US-amerikanischen Stützpunkt Point Alpha, Teile der originalen und rekonstruierte Grenzanlagen und den Weg der Hoffnung. Das ist ein 1,5 km langer Kreuzweg entlang des Kolonnenweges an der Grenze mit 14 Stationen mit großen Stahlskulpturen des Weimarer Metallkünstlers Ulrich Barnickel. Diese Figuren/-gruppen setzen den biblischen Leidensweg von Jesus in Beziehung zur ehemaligen lebensgefährlichen Grenze. Die Figuren sind aus Stahlteilen zusammengefügt, teils figürlich-naturalistisch, teils abstrakt-symbolisch gestaltet, aber immer ausdrucksstark einprägsam. Beim Haus auf der Grenze gibts noch eine Frieden-Peace-Мир-Windinstallation, die im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine wieder eine ganz aktuelle Bedeutung bekam. Ganz hinten, hinter dem Point-Alpha-Gelände wurde im Jahr 2000 ein Denkmal der deutschen Teilung und Wiedervereinigung aufgestellt (von Holzbildhauer-Schülern der Schnitzschule Empfertshausen gestaltet). Irgendwie finde ich die ganze Point-Alpha-Gedenkstätte schon interessant aber ziemlich zusammengewürfelt. Noch mal 200 m weiter auf dem ehemaligen Kolonnenweg klärt eine Infotafel über den Fischerhof auf: der ehemalige Bauernhof der Familie Fischer wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut und seit den 1930er Jahren von der Familie Sitzmann/Bednarek bewohnt. Nach 1945 lag der Hof im Grenzgebiet bei Geisa (etwa 120 m von der Grenze entfernt). Bevor die Bewohner im Zuge der DDR-Zwangsumsiedelungs-Aktion Grenze/Ungeziefer 1952 ihren Hof verlassen sollten, sind sie in den Westen gegangen. Der Hof wurde 1954 abgerissen.

Nach der Wüstung Fischerhof verläuft der Grünes-Band-Wanderweg weiter auf dem ehemaligen Kolonnenweg entlang der Grenzschneise im Wald in Richtung Norden zwischen Grüsselbach (Hessen) und Borsch (Thüringen). Hinter Borsch in Richtung Buttlar kommt man auf freies Feld und bald an die Straße B84 zwischen Buttlar und Rasdorf, die auf der Route des wichtigen historischen Handels- und Pilgerweges Via Regia zwischen Frankfurt/Main und Erfurt bis Leipzig verläuft (auch Frankfurter Straße genannt). Während der DDR-Zeit war die Grenze nach Hessen hier geschlossen, direkt an der Straße steht ein ehemaliger Grenzwachturm. Hier haben wir unsere Osterwanderungs-Mitläufer Silke und Uli getroffen, die uns auf der weiteren Strecke bis Gerstungen begleiteten. Der Kolonnenweg führt nach der B84 auf den Standorfsberg (386 m, Naturschutzgebiet). Von der Höhe geht der Kolonnenweg im steilsten Abschnitt der ehemaligen Westgrenze der DDR etwa 120 Höhenmeter abwärts ins Tal des Taft-Baches. Nach rechts wären es auf dem Gänseweg etwa 700 m nach Wenigentaft. Aber der Grenzweg geht nach links auf und um den Buchenberg (Bückenberg, 375 m) und kommt nach 4,7 km von der anderen Seite nach Wenigentaft. Kurios ist dabei ein etwa 20 m langer leichter Abstieg an der „Buchenberg-Nordwand“, der mit Drahtseilen „gesichert“ ist. Der alte Ort Wenigentaft (815 erstmals erwähnt, jetzt etwa 300 Einwohner) lag zu DDR-Zeiten fast völlig isoliert im Grenzsperrgebiet: die Verbindungen nach Hessen wurden gekappt, die Ziegelei abgerissen, die Ulstertalbahn stillgelegt und abgebaut. Interessant ist die Kirche St. Georg (der Drachentöter ist das Wahrzeichen von Wenigentaft), 1930 anstelle eines Vorgängerbaus aus dem 15. Jahrhundert errichtet, die für eine katholische Kirche erstaunlich schlicht und licht gestaltet wurde. Das Gasthaus „Zum Weißen Roß“ war am Karfreitag leider geschlossen (bei Öffnungszeiten Di + Fr 17-19 Uhr, Sa 10-18 Uhr ist es eh Glückssache, rein zu kommen). Also gingen wir gleich weiter: das Grüne Band folgt hinter Wenigentaft nicht dem Kolonnenweg, der um den sog. „Ulstersack“ (die hessischen Ulsterwiesen bei Mansbach) herumgeht, sondern geht auf dem Ulstertal-Radweg entlang der Trasse der ehemaligen Ulstertalbahn durch hessisches Gebiet. Während die Gleise der Ulstertalbahn auf Thüringer Gebiet nach der Stilllegung 1952 als Reparationsleistung für die Sowjetunion abgebaut wurden, liegen sie auf hessischem Gebiet teilweise noch im Wald. Nach diesem Abschnitt folgt das Grüne Band eigentlich wieder dem Kolonnenweg in den Wald Überm Haberts bis zur Salzbergbau-Abraumhalde bei Philippsthal/Unterbreizbach. Auf über 6 km eintönigen Waldweg hatten wir aber keine Lust und sind deshalb weiter auf dem Ulstertal-Radweg Richtung Pferdsdorf gewandert. An der Rasthütte am Teich kann man gut eine Pause einlegen. Man kommt am ehemaligen Bahnhof Pferdsdorf/Rhön (jetzt ein Wohnhaus) der Ulstertalbahn vorbei. Auf der alten Bahntrasse führt der Ulstertal-Radweg westlich der Ulster bis Unterbreizbach. In Unterbreizbach steht das letzte produzierende Kaliwerk in Thüringen. Es gehört mit den ehemals selbständigen Werken Wintershall (Heringen/Hessen) und Hattorf (bei Philippsthal/Hessen) und dem Erlebnis-Bergwerk Merkers (Thüringen) zum Werksverbund Werra des Düngemittel-Konzerns K+S Minerals and Agriculture GmbH. Das Kaliwerk in Unterbreizbach wurde 1910 mit der Teufung des Salzbergwerk-Schachtes Sachsen-Weimar gegründet. Das verbundene Untertage-Abbaugebiet des Werra-Reviers entspricht inzwischen der Größe von München (etwa 20 km Durchmesser), es werden etwa 20 Millionen Tonnen Rohsalz jährlich abgebaut, das Werk hat insgesamt etwa 4400 Beschäftigte. Salzbergbau und Kaliproduktion bestimmen seit gut 100 Jahren die Wirtschaft dieser Region. Seit 1910 gibts auch das Bergmanns-Gasthaus „Zur Erholung“ (gegründet als „Gast- und Logierhaus Pforr“ der Wirts-Uroma Rosa Pforr), wo wir mit Bier, Schnitzel und Heizstrahler verwöhnt wurden. Nach dem Abendessen haben wir uns an der Schönen Aussicht am Ulstertal-Radweg oberhalb von Unterbreizbach einen Zeltplatz für eine Nacht gesucht.

Sonnabend, 16.04.2022: Unterbreizbach – Vacha – Leimbach

Gut, dass nahe bei unserem Camp eine Art Schutzwagen stand (wie eine Schutzhütte, nur als Anhänger), denn der Morgen auf der Höhe beim Hobholz war sehr kalt und windig. Von unserem Camp zur Salzhalde Hattorf waren es nur 650 m Weg, wo wir direkt am Fuß des Salzbergs den Kolonnenweg im Wald wieder fanden. Allerdings verschwinden die ehemalige Grenze und der Kolonnenweg gleich wieder, weil sie inzwischen zugeschüttet wurden. Der Salzberg (nicht zu verwechseln mit dem Obersalzberg) ist der aufgeschüttete Steinsalz-Abraum, der beim unterirdischen Salzabbau in den umliegenden Schächten anfällt. Genutzt wird hauptsächlich das Kalisalz, das in einem aufwändigen Produktionsprozess vom Steinsalz getrennt wird, das übrig bleibende verunreinigte Steinsalz und Salzlaugen (etwa 70 % des Rohsalzes) können bisher nicht gewinnbringend verarbeitet werden. Die Salzberge wurde schon seit Beginn des Abbaus aufgeschüttet: Die Halde Hattorf (zwischen Philippsthal und Unterbreizbach) ist etwa 1,5 km lang, 600 m breit und 190 m hoch, rund 200 Mio. Tonnen Abraum, seit 2018 wurde auf der Rückseite eine Haldenerweiterung aufgeschüttet. Das Grüne Band führt in etwa 100 m Entfernung entlang des südöstlichen Haldenrandes bis fast zum Eingangstor zum Betriebsgelände an deren Ende (der Salzberg ist eingezäunt und für Unbefugte nicht zugänglich). Der Grenzweg führt um die sog. Köthenäcker und steigt dann etwas unübersichtlich zur Landstraße zwischen Philippsthal-Röhringshof (Hessen) und Unterbreizbach (Thüringen) ab. Über eine Wiese haben kommt man zu einer Brücke über die Ulster und erreicht wieder den Ulstertal-Radweg, nach 500 m erreicht man die Grenze zwischen Hessen und Thüringen an einer Bahnunterführung. Hier zweigt der ehemalige Kolonnenweg nach links (Osten) vom Radweg ab und steigt auf den Lohberg. Auf der Höhe hat man einen tollen Panoramablick zurück nach Unterbreizbach vom Ulsterberg bis zur Salzhalde. Über den Lohberg führt der Unterbreizbacher Weg nach Vacha, dem Thüringer Grenzort an der Werra. Die älteste Stadt Westthüringens (jetzt etwa 5000 Einwohner) mit gut erhaltenem historischem Ortskern im hessischen Fachwerkstil wurde im 12. Jahrhundert erstmals erwähnt. Teile von Kirche, Burg, Stadtmauer, Münze und Kemenate stammen noch aus dem 12. Jahrhundert, die Fachwerkhäuser am Markt meist aus dem 15.-17. Jahrhundert, die ältesten im Wartburgkreis. Vacha entstand an einer Werra-Furt des bedeutenden historischen Handelsweges Hohe Straße/Via Regia (Frankfurt/Main – Erfurt – Leipzig), die wichtige Werrabrücke wurde in einer Urkunde von 1186 erstmals erwähnt. Die Burg Wendelstein diente zur Sicherung der Werrabrücke. Mindestens seit 1346 gab es eine Steinbrücke in zwei Teilen, 1603 wurde sie als durchgängige Brücke ausgebaut. 1945 wurden zwei Brückenbögen zur Behinderung des Vormarsches der US-Armee gesprengt, 1951-52 wieder aufgebaut. Während der DDR-Zeit lag Vacha vollständig im Sperrgebiet, Zutritt nur für Einwohner oder mit Passierschein. Unmittelbar neben der Brück verlief die DDR-Grenze zu Hessen/BRD. Die Werrabrücke war nicht zugänglich, wurde nach Westen mit einem Grenzzaun versehen, am Brückenkopf stand ein Wachturm, die Enden waren nach Hessen mit Betonmauern abgeriegelt. In der Nacht vom 11. zum 12.11.1989 wurde die Grenze und damit auch die Werrabrücke bei Vacha geöffnet, seit der Deutschen Vereinigung am 03.10.1990 wird sie auch „Brücke der Einheit“ genannt. 1993/94 wurde die historische Werrabrücke Vacha als Fußgänger- und Fahrradbrücke umfangreich instand gesetzt und denkmalgerecht saniert. Über dieses historische, bedeutende Bauwerk verläuft natürlich auch unser Weg auf dem Grünen Band. Wir sind am Brückenende aber nichts rechts zum Kolonnenweg bei Oberzella abgebogen, sondern nach links zum Philippsthaler Weidenhainer Bergpark, ein ehemaliger englischer Naturpark des Landgrafen Ernst Constantin zu Hessen-Philippsthal, der mit der Zeit verwildert ist. Der Parkweg führt von der Werra (etwa 220 m) auf den Siechenberg (365 m): schöner Ausblick zurück Richtung Rhön, Öchsen und Vacha. Nach der Thüringer Hütte führt der Waldweg Hohe Straße/Diebspfad direkt auf der hessisch-thüringischen Grenze parallel zum Kolonnenweg etwa 5 km durch den Wald. Das war ziemlich eintönig, das größte Highlight dieses Abschnitts ist der Schwarze Stock, eine Rasthütte mit Wegweiser, im Mittelalter eine markante Wegkreuzung mit Bildstöcken an der Grenze zwischen fuldischem (Heringen) und hersfeldischem (Kloster Kreuzberg) Gebiet. Am Sauberg (368 m) sind wir dann wieder in eine offenere Feld- und Wiesenlandschaft gekommen, die bei den lichten Obstwiesen bei Vitzeroda sogar richtig idyllisch aussah. Allerdings war es als ehemaliges DDR-Grenzgebiet bestimmt nicht idyllisch. Das merkte man auch unten an der Straße am Eschenbach: Die kleine Gehöftsiedelung Gasteroda innerhalb des ehemaligen Grenzgebietes wurde nach und nach durch Umsiedelung oder Flucht entvölkert. Von den ehemals 6 Gehöften gibt es heute nur noch eines, die anderen wurden abgerissen. An dieser Landstraße zwischen Gasteroda (Thüringen) und Heringen (Hessen) verläuft die Grenze zwischen Thüringen und Hessen über den Langenberg (327 m). Auf hessischer Seite ist in einem Tal im Langenberg der „Grillplatz Gemischter Chor Leimbach“ versteckt, der in Wanderapps zu finden ist. Diesen Platz mit Grill und überdachter Sitzgruppe nutzten wir zur Übernachtung.

Ostersonntag, 17.04.2022: Leimbach – Dankmarshausen – Kleinensee

Der Ostersonntag-Morgen im Langenberg-Waldtal war allerdings mächtig kalt und man musste ziemlich lange auf die Sonne warten. Bei strahlend blauem Himmel mit nur leichter Bewölkung wurde es aber später ein schöner Frühlingstag. Vom Langenberg hat man eine tolle Aussicht auf das Werratal von Heringen mit dem K+S-Werk Wintershall über die Salzhalde Monte Kali bis nach Dankmarshausen (wo wir heute hin wollten). Vom Langenberg sind wir auf hessischer Seite zur Dippacher Straße bei Leimbach abgestiegen und am Straßenrand etwa 1 km nach Norden zur Thüringisch-hessischen Grenze gegangen. Dort steht ein Schild, dass die DDR-Grenze hier am 25.11.1989 geöffnet wurde. Etwas abseits am Waldrand steht eine etwas wilde Denkmal-Pyramide aus Steinen, Streckmetall und Stacheldraht „Erinnerung an einen Irrtum“. Auf Initiative des Heringer Kunstvereins wurde es 1990 als erstes Denkmal an der ehemaligen DDR-Grenze von Anatol Herzog (Schüler und Freund von Joseph Beuys) mit Jugendlichen aufgebaut. Mit der Zeit soll es als „Schrott der Geschichte“ von der Natur überwuchert werden. Das funktioniert auch, macht aber eben auch den etwas verstörenden Eindruck einer kleinen wilden Mülldeponie. Ab hier wollten wir wieder auf dem Kolonnenweg weitergehen. Der Einstieg war aber gar nicht so leicht zu finden, denn auf den Wiesenflächen des Naturschutzgebietes Rohrlache bei Dankmarshausen war erst mal alles gleich nass und grün. Zwischen ausgebaggerten Kiesseen führt das Grüne Band auf dem Kolonnenweg bis zur Werra und mit dem Werratal-Radweg über die Werrabrücke nach Dankmarshausen rein. Auch Dankmarshausen entstand an der Werrafurt eines alten Handelsweges „durch den kurzen Hessen“ (von Frankfurt/Main nach Leipzig über Hersfeld, Berka/Werra, Eisenach, Erfurt). Der Ort wurde 1302 als Dangmerßhusen erstmals erwähnt, hat etwa 1000 Einwohner und gehört zur Gemeinde Werra-Suhl-Tal. Der hübsche historische Ortskern mit Fachwerkhäusern und der Kirche St. Kilian (von 1440) liegt auf einer Hochfläche über der Werra (vielleicht 30 m über dem Flussniveau 210 m). Für uns war das Gasthaus „Zum Adler“ die schönste Sehenswürdigkeit: offen, freie Hofplätze, kühles Bier und heißer Schweinebraten – was will man mehr? Von Dankmarshausen geht der Grenzweg zurück nach Westen (wegen der Thüringen-Blinddärme um Kleinensee). Erst gehts hinter dem Monte Kali hoch zur Hornungskuppe (444 m), auf hessischen Gebiet weiter zum Aussichtsturm Bodesruh, 1963 von Kleinensee an der Grenze als Mahnmal der deutschen Teilung errichtet: mit Blick nach Nordosten: Kleinensee (Hessen), Großensee (Thüringen), Bosserode, Wildeck und Gerstungen. Den folgenden Weg über Jagdhaus Bodesruh (eine Gaststätte) und Seulingswald wieder runter nach Osten, durch das Naturschutzgebiet Seulingssee/Säulingssee nach Kleinensee, ein hessischer Auswuchs nach Thüringen. In Kleinensee haben wir (Thüringer Wanderer) dank des unermüdlichen Einsatz‘ eines Kleinensee-Fußballfans einen Zeltplatz auf dem Sportplatz SV Kleinensee bekommen. Na ja, das Sportlerheim war nicht ganz so toll, aber die Wiese war top.

Ostermontag, 18.04.2022: Kleinensee – Bosseroder Rhäden – Gerstungen

Na klar: wieder eine arschkalte Nacht zum Ostermontag (es war immer etwas unter Null Grad), Eis-Gänseblümchen auf dem Sportplatz. Aber mit der aufsteigenden Sonne gehts. Frühstück im Sportlertheim Kleinensee: unser Restangebot ist so… la… la… nach 4 Rucksackfrühstücken. Auf dem Rück/Weiterweg durchs Naturschutzgebiet Seulingssee sieht man Wasserbüffel als Naturschützer. An der ehemaligen DDR-Grenze zu Großensee haben die Heimatvereine beider Orte ein kleine Grenz-Gedenkstätte eingerichtet: einge Relikte der Grenzanlagen blieben als Mahnmal stehen, eine Infotafel zeigt Zeugnisse der Zeitgeschichte. Der Thüringer Ort Großensee, der während der DDR-Zeit wirklich „am Arsch der Welt“ lag (also überall vom Grenzgebiet umschlossen außer einem 650 m breiten Korridor nach Dankmarshausen, natürlich auch Sperrzone), hat durch die „Abgeschiedenheit“ aber noch einige historische Fachwerkwerk-Höfe vorzuweisen, eine etwa 150-200 Jahre alte eindrucksvolle Tanzlinde und eine hübsche Kirche aus dem 14. Jahrhundert. Von Großensee führt das Grüne Band weiter nach Norden zum Grenzweg bei Raßdorf/Wildeck (Hessen) an der Bahnstrecke zwischen (Wildeck-)Bosserode und Hönebach. Der Grenzweg geht dann nach Osten, quert die Bahnlinie bei der Bruchmühle (Gedenkstein innerdeutsche Grenze), bildet einen Grünstreifen an Feldrändern. Südlich von Bosserode heißt der Kolonnenweg dann Rhädenrundweg (das haben sich die Touristiker so ausgedacht). Wir sind dann aber nach Nordwesten in den Rhäden bei Obersuhl und Bosserode abgebogen, ein Vogel- und Naturschutzgebiet auf hessischer Seite (ergänzt durch den Dankmarshäuser Rhäden in Thüringen). Diese moorastigen Wiesen wurde ursprünglich trockengelegt, um sie als landwirtschaftliche Fläche zu nutzen. Durch die Lage im Grenzgebiet war das nicht mehr möglich und die Fläche vernässte wieder. Durch die weitere Renaturierung wurde ein relativ großräumiges Feuchtbiotop-Schutzgebiet geschaffen. Für uns war natürlich interessant, dass das wasserspendende Flüsschen dieses Gebiets Suhl heißt, da fühlt man sich doch gleich heimisch.

2021 Rein in Taufers, Südtirol: Rein in Taufers, im Hintergrund: Hochgall (Foto: Andreas Kuhrt)

Wanderungen Rein in Taufers . Südtirol 2021

Wer idyllische Berglandschaft abseits von Tourismustrubel und Durchgangsverkehr sucht, kann es (noch) in dem kleinen 350-Einwohner-Ort am Ende der Rieserferner-Bergwelt finden. Das Dorf liegt am Ende der Reinbachtal-Straße in einem Hochtal auf etwa 1600 m Höhe von den Bergketten des Rieserferner-Ahrn-Naturparks zwischen 2000 bis gut 3000 m umgeben. Von hier geht es nur zu Fuß oder auf einer Schotterpiste (nur mit Berechtigung) weiter. Der markanteste Gipfel ist der Hochgall (3436 m) nur etwa 7,5 km Luftlinie vom Ort entfernt.

Wir haben an 8 Wandertagen die gut ausgebauten Wanderwege der Region mit moderaten Strecken und Anstiegen auf max. 2600 m erkundet. Besonders gut hat uns der idyllische untere Kofler See mit Blick zum Hochgall gefallen, nur der Abstieg über die Sossenscharte ins Knuttental ist ein bisschen gemein, weil scheinbar vor der Erfindung der Serpentine steil geradlinig abwärts angelegt. Die Wege über die Kasseler Hütte zum Malersee, durchs Knuttental zum Klammljoch mit Blick auf die Hohen Tauern, der Almenweg an der Durreckgruppe und der Vegetationsweg von Rein nach Sand in Taufers waren auch sehr schön.

Die bewirtschafteten Almhütten sind natürlich immer ein lohnendes Ziel: Knuttenalm (mehr für die Lederhosen-Fraktion), Durra Alm (interessant: Zirbenrisotto mit schwarzen Beeren und Ragout), Ursprung­­alm (sehr nett: für eine Spende gibts Getränke, Kaffee und, wenn man wie wir Glück hat, veganen Geburtstagskuchen von der Mama im Tal). Unbedingt erwähnenswert ist die örtliche Pizzeria „Florian“ mit netter familiärer Athmosphäre, tollem Angebot und moderaten Preisen. Wer etwas mehr Trubel, Eiscafés, eine Burg, Wasserfälle und beispielsweise neue Wanderschuhe (wie ich) sucht, wird im 11 km entfernten Sand in Taufers fündig.

Auf dem Rückweg haben wir noch auf Wunsch einer einzelnen Dame das Bergfotomuseum „Lumen“ und das futuristisch angelegte „Messner-Moutain-Museum“ auf dem Kronplatz bei Bruneck besucht, beides sehr interessant. Der Lumen-Spiegelsaal (wie im Innern eines Kaleidoskops) mit der Fotoshow „Reflexions“ von Heinz Zak war geradezu umwerfend, schon allein deshalb, weil man nicht mehr wusste, wo oben und unten ist.

2020 Grünes Band: Grünes Band bei Ahlstadt/Harras (Foto: Manuela Hahnebach)

Wandertour Grünes Band Thüringen 2020

Nachdem wir im Frühjahr 2020 kreuz und quer durch die Thüringer und Rhönlandschaft gewandert waren, wollten wir im Juli auf einem Weitwanderweg mit Zelt und Rucksack auf Tour gehen – wir mussten ja unser neues Leichtwanderzelt auch mal ausprobieren. Wir suchten nach einem Weg, den wir noch nicht kannten, der nicht so überlaufen ist und nicht so weit weg. Spontan entschieden wir uns für das „Grüne Band“ in Thüringen – das ist naheliegend und einsam soll es auch sein. Das „Grüne Band“ ist die ehemalige undurchdringliche, scharf bewachte Grenze zum „Westen“ (bei uns ist der „Westen“ aber im Süden), die nach der Wende in weiten Teilen zu Naturschutzgebieten oder Biosphärenreservaten erklärt wurde. Weil der Grenzstreifen (zur besseren Kontrolle) auf etwa 50 bis 200 m Breite baumfrei gehalten wurde und nicht so starker „Besucherverkehr“ war, haben sich dort mit der Zeit einzigartige, relativ unbeeinflusste natürliche Rückzugsgebiete gebildet (für Pflanzen, Tiere und Weitwanderer).

Den GPX-Track der Tour hatten wir uns aufs Handy geladen. Das war zur Orientierung auch nötig, denn die Markierung/Ausschilderung ist katastrophal bis nicht vorhanden. Sehr hilfreich für die Tour ist das Buch von Anne Härtel „Grünes Band – der Süden“ (Trescher Verlag). Sie gibt Beschreibungen zum Tourverlauf und Tipps für Sehenswertes, Einkaufs-, Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten. 

Wir starteten am Wanderparkplatz „Grünes Band“ zwischen Effelder und Meilschnitz und hatten rund eine Woche Zeit – mal sehen, wie weit wir kommen würden. Nun liefen wir auf dieser Grenze, die vor über 30 Jahren so gut bewacht wurde und für uns völlig tabu war. Und wir konnten einfach so die Seiten wechseln! Das sollte man aber nicht überall bedenkenlos machen, weil es im sogenannten „Todesstreifen“ immer noch vermisste Minen gibt. Zur Orientierung: wir liefen von Ost nach West in großem Bogen um das Grabfeld zwischen Thüringen und Bayern. In unserer Richtung verlief die ehemalige Grenze stets auf der linken Seite vom Kolonnenweg (der DDR-Grenzer) – also auch der etwa 50 m breite gerodete Kontrollstreifen vor der eigentlichen Grenze. Bei andauerndem Sonnenschein (wie im Juli 2020) wird man darum links erst rot und dann richtig braun (irgendwie paradox, diese Grenze). Das Laufen auf dem Kolonnenweg ist nicht einfach, ständig muss man konzentriert bleiben und aufpassen, dass man nicht in die Löcher der Betonplatten tritt. Manchmal kann man einen Trampelpfad neben der Spur gehen. Logischerweise gibt es im unmittelbaren Grenzgebiet keine Ansiedelungen (mehr), die wenigen ursprünglich vorhandenen wurden wie das Dorf Billmuthausen zwangsweise geräumt und abgerissen. Und immer nur zwischen Wäldern und Feldern über Loch-Betonplatten stolpern macht dann doch nicht so viel Spaß. Deshalb haben wir oft die Alternativroute oder Wege nach eigenem Ermessen benutzt und uns die abgelegenen kleinen Dörfer mit gut erhaltenen Fachwerkhäusern und Kirchen angeschaut. Manchmal haben wir zugegebenermaßen die eher langweiligen Abschnitte auch abgekürzt. Die Grenze wurde ja nicht nach topografischen oder touristischen Gesichtspunkten angelegt, sondern nach politischem Kalkül kreuz und quer durch die Landschaft geschnitten. Deshalb gibt es auch „Grenzohren“ (also nicht die von früher, sondern einfach Ausbuchtungen im Grenzverlauf), die man nicht alle mitnehmen muss. Und der Grenzweg hat mehr steile An- und Abstiege, als man denkt.

Wasser und Verpflegung waren nicht immer einfach aufzutreiben. Viele Ortschaften haben keine Gastronomie und Einkaufsmöglickeiten sind rar gesät. In dieser Hinsicht macht der Name der Region „Grabfeld“ Sinn. In Holzhausen haben wir Leute nach Wasser gefragt – am Ende wurde an einem schattigen Plätzchen ein Tisch für unser Picknick aufgestellt, es wurde gekühltes Wasser serviert und sich entschuldigt, dass man gerade nichts zu Essen anbieten kann, weil’s nur für die Familie reicht. Also, die Leute, die wir getroffen haben, waren ganz besonders freundlich und niemals abweisend. Interessante Gespräche mit den Einheimischen über Früher und Heute gab es entlang des Weges, eine Einladung zum Bier bei Platzregen und Gewitter unter dem einzigen Unterstand weit und breit am Ummerstädter Kreuz. Anderen Grenzwanderern sind wir nicht begegnet. Wir haben nur zwei mal von einem gehört, der Richtung tschechische Grenze unterwegs sein soll. Es ist wie mit dem Yeti, man sieht keinen, aber hat schon mal von ihnen gehört. Dafür gibt es viele Radwege im ehemaligen Grenzgebiet, die sehr gut genutzt werden.

Nach unseren Erfahrungen sollte man den Weg „Grünes Band“ als breiten Wanderkorridor nutzen, um die umliegenden Orte mit Fachwerkhäusern und alten Wehrkirchen oder kleinen Schlössern zu besuchen. Besonders schön: Ummerstadt, Schweickershausen, Behrungen. In Bad Colberg kann man sich in der Terrassentherme entspannen, in der Gaststätte „Rangerhof“ war’s urig und hat besonders gut geschmeckt. Vom Gipfel des Straufhain hat man einen tollen Rundumblick. In Irmelshausen bietet der Badesee mit Campingplatz, Sandstrand, Liegewiese und reichhaltigem Imbiss eine Oase der Erholung. Sonst gibt es halt viel Natur und Ruhe…

Am Ende der Tour sind wir in 7 Tagen 153 km gewandert, täglich zwischen 20 und 25 km mit moderatem Tempo, vielen Fotos und einigen Zwischenstopps (z.B. Kirchen, Gaststätten, Therme).

Bei Interesse kann man sich unsere Tour bei outdooractive.com/… ansehen

Kalender Fotografie Schweiz 2020: Kapelle Maria zum Schnee . Bettmeralp (Foto: Andreas Kuhrt 2019)

Fotokalender Schweiz 2019

Jahreskalender im Format DIN A2 mit 13 Fotos von Manuela Hahnebach und Andreas Kuhrt

Im Ende Juli 2019 waren zu einem Wanderurlaub in der Schweiz. In einer Zwischenstation kann man in Brunnen am Vierwaldstättersee auf dem Campingplatz Hopfräben direkt am See zelten. Zwischen Fronalpstock, Rigi Hochflue und Niederbauen Kulm (auf der anderen Seeseite) hat man im Schwyz-Tal eine Schweizer Bilderbuch-Landschaft.
Unser eigentliches Ziel war aber das Rotten/Rhônetal im Wallis (Südschweiz, an Italien grenzend) inmitten der bekanntesten Schweizer Alpengipfel. Im Zentrum des Tals ist Brig ein hervorragender Ausgangsort zur Erkundung des Gebietes zwischen Aletschgletscher und Matterhorn. Im kleinen Ort (etwa 15000 Einwohner) kann man einerseits vielfältige touristischen Angebote nutzen (Übernachtung, Gaststätten, Einkauf, Sehenswürdigkeiten, Thermalbad, Veranstaltungen) und hat andererseits günstige öffentliche Verkehrsverbindungen mit Bus oder Bahn zu (im wirklichen Wortsinn) herausragenden touristische Zielen. In Brig kann man durch das teils historische, teils moderne Ortszentrum mit Sebastianskapelle, Stockalperschloss und -park, Kollegiumskirche und Kloster St. Ursula schlendern. Es gibt viele Gaststätten und Einkaufsmöglichkeiten. Am zentralen Sebastiansplatz um den Chavez-Brunnen ist eigentlich immer Betrieb. Ein tolles „Gastgeschenk“ (na ja, geschenkt wird einem in der Schweiz eigentlich nichts) war, dass man mit der Beherbergung auch freie Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln der Umgebung und sogar mit vielen Bergbahnen hat (die sonst keine Schnäppchen sind).

Touren

  • Fiesch – Bellwald: historisches Ortszentrum in Bellwald mit vielen typischen Walliser Holzhäusern, Hängebrücke Fürgangen-Mühlebach über die Rotten/Rhone
  • Bettmeralp – Bettmerhorn – Bettmergrat – Eggishorn: Aletschgletscher-Panoramawanderung (outdoractive.com/…) mit Panoramablicken vom Matterhorn bis zum Mont Blanc, zum Aletschgletscher, Jungfrau, Mönch und Eiger
  • Belalp – Riederalp: Kapelle Maria zum Schnee Belalp, Kapelle Belalp-Lüsge, Kapelle der armen Seelen im Aletschji (Sage „d’alt Schmidtja spinnt noch“), schottische Hochlandrinder und Ehringer, außergewöhnlich gastfreundliche Schweizer, die uns ihre historische Hütte im Aletschji zeigten und uns zum Kaffee einluden, Hängebrücke Belalp-Riederalp über den Aletschgletscher-Abfluss Massa
  • Simplon Kulm – Simplonpass – Simplon Dorf: Wanderung entlang der historischen Simplon-Passstraße (nach Domodossola, Italien) durch das grüne Chrummbachtal nach Simplon Dorf, Schweizer Bundesfeier (Nationalfeiertag), Dorffest mit Alphornbläsern, Trachten-Kulturprogramm, Air-Glaciers-Helibar, Weinfest
  • Stausee Mattmark – Saas-Fee: interessante Wanderung bei Wind und Regen um den Mattmarksee, Abstecher nach Saas-Fee: ganz netter autofreier Touristenort, umzingelt von 3-4-Tausendern, Wanderung zur Alpe Hannig oberhalb von Saas-Fee mit knapp 100 Ziegen, Käserei
  • Zermatt – Gornergrat: Fahrt mit der Gornergratbahn von Zermatt zur Bergstation Gornergrat, ein Muss für jeden richtigen Schweiz-Touristen und Liebhaber asiatischen Getümmels, gleich hinter der Gornergrat-Spitze in Richtung Hohtälli wird es fast einsam, fantastische Tiefblicke in das Gornergletscher-Tal und Hochblicke zur Bergwelt um die Dufourspitze (mit 4634 m höchster Gipfel der Schweiz auf der Grenze zu Italien), toller Matterhorn-Blick vom Riffelsee

Weil es uns bei Saas-Fee gut gefallen hat und weil für den nächsten Tag das Ziegenfest angekündigt war, haben wir noch ein paar Tage dort dran gehangen (Campingplatz am Kapellenweg in Saas-Grund)

  • Ziegenfest in Saas-Fee: interessantes Dorffest, Ziegenvorführung der Alpe Hannig, „Punktierung“ der Zuchtziegen (die wurden nicht angestochen, sondern bewertet)
  • Hohsaas – Kreuzboden – Almagelleralp: tolle Wanderung auf dem Rundweg „18 Viertausender“ bei Hohsaas unterhalb der Weissmies mit Blick auf die 4000er-Gipfel der Region, an 18 Stationen gibt es Informationen zu den 18 Gipfeln, dann noch aussichtsreiche Blumenwanderung oberhalb des Saastales vom Kreuzboden um die Weissmies-Ausläufer zur Almagelleralp (schöne Hütte, nette Wirte)
  • Kapellenweg – Saas-Fee – Felskinn – Alpenblick: Interessanter Kapellenweg aus dem Saastal hoch nach Saas-Fee, schöne aussichtsreiche Wanderung entlang 15 kleinen Kapellen an prägnanten Orten auf Felsen oder im Wald zur Wallfahrts-Kapelle „Zur hohen Stiege“, dann noch Tour von der Seilbahn-Bergstation Felskinn auf den Felskinn-Grat und auf dem Gletscherweg Richtung Egginerjoch (der Weiterweg zur Britannia-Hütte war in den Geröllstrecken nicht so einfach zu gehen wie gedacht), und noch eine Empfehlung: das Restaurant „Alpenblick“ unterhalb der Hannigalpe: toller Ausblick von der Terrasse (es liegen Ferngläser auf den Tischen), tolles Essen und freundliche Wirtin.
  • Zermatt – Gornerschlucht – Blatten: noch mal nach Zermatt, mal durch den Ort schlendern, auf dem Holzweg durch die Gornerschlucht, schöne Wiesenlandschaft mit originalen Walliser Holzhäusern bei Blatten (Bergrücken zwischen Gornera und Zmuttbach), noch eine Empfehlung: Bergrestaurant Blatten, sehr gastfreundliches Restaurant der Familie Taugwalder

Punta de Malpaís bei Tamaduste . El Hierro . Kanarische Inseln 2018 (Foto: Andreas Kuhrt)

Wandertouren Kanarische Inseln 2018

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2018 hatten wir uns eigentlich einen Wanderurlaub auf der Kanareninsel La Gomera vorgenommen, wo wir vor 26 Jahren schon mal eine Wanderrundtour gemacht hatten. Damals hatten wir auch „einheimische“ Deutsche gefragt, ob sich ein Besuch auf El Hierro lohnen würde. Die Antwort war: „Was wollt ihr denn da? Da gibt’s doch nur den einen Baum!“ (der „El Sabinar“ von den Postkarten). Weil uns aber einige Freunde von der vielfältigen Schönheit und Ruhe der kleinsten Kanareninsel vorgeschwärmt hatten, wollten wir nun außerdem auch noch nach El Hierro – eine Woche dort und eine da, wie man das so macht als unentschlossener Tourist.

Für Wanderer und Naturliebhaber lohnt es sich unbedingt, El Hierro zu erkunden. Erlebnistouristen sollten einen Bogen drum rum machen, denn Strände, Nachtleben und Highlife gibts nicht. Eine Kombi von La Gomera und El Hierro zu planen, ist eine logistische Herausforderung. Die Schiffs- oder Flugverbindungen funktionieren nur über Teneriffa und der Regionalflughafen Aeropuerto de Tenerife Norte bei La Laguna im Inselnorden ist auch noch eine Autostunde (bei verkehrstechnischen Idealbedingungen) vom internationalen Aeropuerto Reina Sofia in Südteneriffa entfernt. Dagegen ist die günstigste Verbindung nach La Gomera die Fähre, die noch etwas weiter im Südwesten in Los Cristianos abgeht. Es gibt jede Menge Transporte, Flüge, Fähren, Bus, Taxis oder Mietwagen sowie Unterkünfte auf den drei Inseln zu organisieren. El Hierro bietet außerdem auch genug Potenzial für mehrwöchige Erkundungen.

Zwischenstopp in Teneriffa

Unsere Ankunft auf Teneriffa am internationalen Süd-Flughafen Reina Sofía (benannt nach der Frau des spanischen Königs Juan Carlos I. Königin Sofía de Grecia: Sophia von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg aus Griechenland, vertrackte Adelswelt) war so, dass man nicht gleich weiter nach El Hierro konnte. Wir wollten in der stürmischen Herbstzeit im November die 4-Stunden-Fährüberfahrt (ca. 130 km) vermeiden und stattdessen lieber in 40 Minuten rüberfliegen. Das geht nur vom Regionalflughafen Tenerife Norte. Dafür brauchten wir wenigstens eine Zwischenübernachtung auf Teneriffa in La Laguna.

La Laguna: die alte Hauptstadt von Teneriffa

Die historische Stadt La Laguna hat aber auch ihren Reiz: San Cristóbal de La Laguna ist die alte Hauptstadt von Teneriffa, im Inselnorden-Inneren auf ca. 550 m Höhe gelegen.

Sie wurde 1499 vom spanischen Eroberer Alonso Fernández de Lugo (aus Andalusien) an der Stelle eines von den Guanchen (Urbevölkerung Teneriffas) als heilig verehrten Sees gegründet (daher Laguna, obwohl es keinen See mehr gibt), nachdem diese sich ergeben hatten und hier getauft wurden (sagt die spanische Geschichtsschreibung). Der spanischen Eroberung der Insel Teneriffa im Auftrag Isabellas, der Königin von Kastilien, gingen drei Schlachten gegen die widerständischen nördlichen Guanchen voraus: Nach einer verheerenden Niederlage der kastilischen Truppen unter dem Kommando de Lugos 1494 in der Schlacht im Barranco Acentejo (bei der von 1650 Infanteristen und Reitern etwa 1300 Soldaten getötet wurden), kam de Lugo 1495 wieder mit einem 1500 starken Eroberungsheer nach Teneriffa: In zwei Schlachten im November 1495 auf der Ebene von Aguere (beim heutigen La Laguna) und im Dezember bei Acentejo wurden vermutlich etwa 2000 Guanchen niedergemetzelt (gegenüber 45 toten spanischen Soldaten). Alonso Fernandez de Lugo begründete dann bei seinem Feldlager bei Aguere San Cristóbal de den Ort La Laguna mit einer Kapelle am Platz der heutigen Kirche Nuestra Señora de la Immaculada Concepción. Im 16. Jh. wurde der heutige Stadtkern angelegt. 1514 wurde La Laguna als Stadt ernannt und faktisch die Hauptstadt Teneriffas. Ende 17./Anfang 18. Jh. liefen La Orotava im Norden und Santa Cruz im Süden La Laguna den Rang ab, im 19. Jh. wurde der ehemalige Hafen von La Laguna Santa Cruz zur Hauptstadt von Teneriffa.

Danach wurde La Laguna eine etwas abgehängte Hochschul- und Provinzstadt mit etwa 150 000 Einwohnern, die eine interessante Altstadt aus dem 16./17. Jh. hat. Wir hatten leider nur 2 Stunden Zeit, uns die spanisch-kanarische Architektur anzusehen: die Iglesia de la Inmaculada Concepción de la Virgen María (von 1497, 1558 in heutiger Form gebaut, große Wunder brauchen lange Namen: Kirche der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria), einige historische Straßenzüge (die als UNESCO-Welterbe seit 1999 – 500. Jahrestag der Gründung – zunehmend renoviert werden) und die Bar „Benidorm“ (von 1957, zu deren Besuch es leider nicht mehr gereicht hatte). Auffällig waren auch Streetart-Wandmalerein, die vielleicht auf das Selbstverständnis als Kunst- und Kulturstadt Teneriffas verweisen. Hervorzuheben ist auch noch unsere Übernachtung in der Casa Lagunera, einer ganz kleinen Pension (mit 2 Zimmern) im ruhigen Stadtteil El Coromoto (nahe des Flughafens, aber auch nicht weit vom Stadtzentrum). Die Doppelbettzimmer sind echt ziemlich klein, mit Kücheneinrichtung neben dem Bett und Bad übern Flur (bei unserem Zimmer), aber ausgesprochen ordentlich, sauber und schallisoliert. Und der junge Betreiber Josh, der Ingenieurwissenschaft und Astrophysik studierte und auch noch einen Hauptjob hat, war echt freundlich und hilfsbereit, hat uns im Dunkeln aufgesammelt (weil wir das kleine Haus nicht gefunden haben), viele Tipps gegeben und uns am nächsten Tag zum Flughafen gefahren.

Nach El Hierro

Unseren Flug mit Binter Canarias nach El Hierro hatten wir schon online gebucht und der Check-in nur mit Ausweis funktioniert innerhalb von Minuten. Binter fliegt mit Turboprop-Regionalflugzeugen zwischen den kanarischen Inseln, dem spanischen Festland und Nordafrika. Der Flug von Tenerife Norte nach El Hierro führt an Teneriffas Nordküste am Teide vorbei über La Gomera, ist etwa 200 km lang und dauert 40 Minuten. Der Aeropuerto de los Cangrejos (Krabben-Flughafen) liegt am nordöstlichen Zipfel El Hierros in einer Vulkanebene am Atlantik (1972 fertiggestellt, nicht der Atlantik, sondern der Flughafen). An der Flughafen-Information bekommt man eine Straßenkarte und die Wanderkarte „Red de Senderos“ von El Hierro, die als Übersicht für die 15 meist gut markierten Wanderwege ausreichend ist. Obwohl die Insel ziemlich klein und übersichtlich erscheint, benutzt man vorteilhaft ein Mietauto, denn die einzelnen Orte und interessanten Punkte sind abgelegen, das Inland bergig (bis 1500 m hoch) und teilweise unerschlossen, die Wege/Straßen entsprechend weitläufig, kurvig und die Busverbindungen rar.

El Hierro ist die westlichste und "jüngste" (ca. 1,2 Mio. Jahre) der kanarischen Inseln und liegt etwa 450 km westlich der nordafrikanischen Küste in Westsahara. Große Gebiete sind unwirtliche Lava- und Erosionslandschaften (Malpaís). Von Nordost nach Südwest zieht sich ein gebogener Hauptkamm Cumbre von etwa 1000 m Höhe über die Insel (der höchste Punkt ist der Pico Malpaso mit 1501 m). Ursprünglich entstand El Hierro als unterseeischer Vulkan in etwa 3000 m Meerestiefe. Über einem Hotspot mit Y-förmigen Austrittsgräben bauten vulkanisch aktive Phasen die Insel bis zum etwa 2000 m hohen Golfo-Schildvulkan vor etwa 180 000 Jahren auf (über der Meeresoberfläche erhebt sich also nur das obere Drittel dieses vulkanischen Gebildes). Diese Vulkane kollabierten unter ihrer eigenen Last. In mehreren katastrophalen Bergstürzen bildeten sich die Steilhänge im Südwesten zum Mar de las Calmas (am Vulkan El Julan vor etwa 160 000 Jahren), im Südosten nach Las Playas und noch viel größer im Norden, wo die Flanken des 2000 m hohen Golfo-Vulkans ins Meer abrutschten (vor 130 000 und 15 000 Jahren, die Schuttfächer breiten sich bis 65 km vor der Küste bis zum Meeresboden in 3200 m Tiefe aus). Die steilen sichelförmigen Abrisskanten und flachen Schüttebenen sind Ergebnisse dieser Bergstürze. Das Tal El Golfo öffnet sich vom 1000 bis zu 1500 m hohen Hochlandgrat wie ein riesiges Amphitheater mit etwa 15 km Breite und 5 km Tiefe nach Nordwesten zum Atlantik. (Mehr Informationen: www.rainer-olzem.de/...)
In der Antike galt El Hierro als das Ende der Welt, auf das westliche Inselende Punta de Orchilla wurde im Jahr 150 vom griechischen Geographen Claudius Ptolemäus der Nullmeridian festgelegt (der später für Greenwich reklamiert wurde). Auf der in der Antike Ferro genannten Insel (von Ero/Esero: hart oder Hero/Hera: Brunnen) lebten von den anderen Kanareninseln oder Nordafrika eingewanderte berberische Ureinwohner, die sich Bimbache nannten, als steinzeitliche Hirtenkultur seit etwa dem 2. Jh. bis zur Eroberung durch die Spanier im 15. Jh. (im Jahr 1400 etwa 2500 Ureinwohner). Ende des 14./Anfang des 15. Jh. wurden Ureinwohner der kanarischen Inseln durch Händler und Piraten gefangen, um sie als Sklaven zu verkaufen. Zur Eroberung der kanarischen Inseln wurde vom König von Kastilien der französische Jean de Béthencourt als Herr der Kanaren eingesetzt. Bei seiner Landung 1405 an der Bahía de Naos ließ er den Bimbache-König Armiche und die Männer der Familienclans, die zu einem angeblichen Vertragsabschluss gekommen waren, gefangen nehmen und später teilweise in die Sklaverei verkaufen. Es wurden französische und später kastilische Bauern angesiedelt. Nach Lanzarote, Fuerteventura und El Hierro wurden auch die anderen kanarischen Inseln für Spanien kolonisiert.
Heute gehört El Hierro zur spanischen Provinz Santa Cruz de Tenerife innerhalb der Autonomen Gemeinschaft der Kanaren. Gegenwärtig leben etwa 10000 Einwohner auf El Hierro, davon ca. 1600 in der Inselhauptstadt Villa de Valverde. Im Jahr 2000 wurde El Hierro zum UNESCO-Biosphärenreservat erklärt und 2014 zum Geopark. Ein Projekt, die Energieversorgung der Insel ab 2014 komplett auf saubere, erneuerbare Energiequellen (Windkraft + Wasser-Pumpspeicher) umzustellen, konnte nicht vollständig umgesetzt werden.

Tamaduste

Als erstes Ziel haben wir den kleinen Fischer- und Touristenort Tamaduste (300 Einwohner) an der Küste gleich nördlich neben dem Flugplatz angesteuert, um einen ersten Eindruck von El Hierro zu gewinnen. Tamaduste ist bekannt für die größte und schönste natürliche Hafen- und Badebucht Charco del Tamaduste, die mit einer umlaufenden Uferpromenade erschlossen ist und und ist sozusagen das „Seebad“ der Inselhauptstadt Villa de Valverde (3 km Luftlinie, aber 9 gewundene Straßenkilometer entfernt auf einem 600 m hohen Bergplateau, als einzige kanarische Inselhauptstadt nicht an der Küste gelegen). Strände gibts auf El Hierro ganz wenige, weil die brandungsbenagte Lavaküste meist steil ins Meer abfällt. Deshalb gibts an verschiedenen geeigneten Buchten durch Brandungsmauern geschützte Meerwasserbecken (charco = Pfütze, Tümpel), die einigermaßen sicheres Baden ermöglichen. In Tamaduste gibts ein paar alte kanarische Häuschen, viele Apartamento-Betonneubauten, ein paar Restaurants und Cafés und ein Polideportivo: ein irgendwie deplatzierter überdimensionierter Ballsportplatz mit vielleicht 400 Zuschauerplätzen ganz aus Beton und Lavastein (abgesehen davon, dass jeder Sturz da richtig hart ist, nagt auch der Zahn der Zeit als Betonfraß dran, es sieht so aus, als wäre beim Flugplatzbau 1972 noch etwas Beton übriggeblieben).

Küstenwanderung Tamaduste – Roque de las Gaviotas (SL-EH 3)

Weil wir von urtümlichen Lavalandschaften fasziniert sind, wollten wir erst mal die kleine ausgebaute und markierte Wanderung SL-EH 3 durchs Malpaís (Geröllwüste, Ödland) bei Tamaduste machen. Tamaduste liegt auf eine Lavaebene, inmitten von Lavafeldern unterhalb des Vulkans Montaña del Tesoro (Schatzberg, dort wird irgendetwas abgebaut), der als 490 m hoher roter Gipfel am Hochlandabhang über dem Ort steht. Diese dem Hochland vorgelagerten Lavaebenen werden Islas bajas (niedrige Inseln) genannt und sind erdgeschichtlich durch die Überflutung des Küstensockels durch vulkanische Lava eines darüber liegenden Vulkanausbruchs entstanden. Sie beginnt hinter Tamaduste am Ende der Calle Malpaís (Wende- und Schotter-Parkplatz, Wegweiser La Fortaleza: Festung) am Baja de Guillermo (Unterer Willi? Kleiner Willi? Ein Lavafelsvorsprung im Atlantik) und führt etwa 2 km immer entlang der ca. 25 m hohen Lavasteilküste. Die Atlantikwogen nagen hier mit zäher Ausdauer am Lavagestein und legen Klüfte, Höhlen, Tore und Felsen frei. Anfang November war der Seegang ganz schön heftig und sorgte für bemerkenswerte Wellenbrecher und Spritzwasserattacken. Wir sind ca. 1 km auf dem gut ausgebauten Weg in der rauen Lavalandschaft bis zum Roque de las Gaviotas (Mövenfelsen) gegangen, ein etwa 50 m vor der Küste 30 m herausragender Fels, der dem Wellengang trotzt. Die schönen senkrechten Basaltsäulen deuten auf ein kompaktes Lavapaket oder einen alten Vulkanschlot, der langsam abkühlte, dabei durch regelmäßige Spannungsrisse Säulen bildete und besonders hart ist. Wir sind hier umgekehrt, aber der Weg geht noch etwa 1 km durch die Vulkanlandschaft weiter und erreicht bei den Felszungen Los Puentes (Brücken) die Küste an einem kleinen Geröllstrand. An den Puentes gibt es Felsformationen, die durch Erosion vielfältig durchbrochen sind und dadurch ein Gewirr aus Lavabögen, Säulen und Löchern bilden, das auch Arcos de la Fortaleza genannt wird.

Nach 2 Stunden Begeisterung für Lava und Meer wurde es Zeit, unsere Unterkunft der nächsten 10 Tage zu erreichen: die Casa Rural El Lunchón am Rand des inzwischen größten Ortes El Hierros La Frontera („die Grenze“) im nördlichen Golfo-Tal. Dazu kann man seit 2003 die Küstenstraße durch den Tunnel Los Roquillos zwischen Mocanal und Las Puntas benutzen (das sind nur rund 25 km statt der ehemals 43 kurvigen Straßenkilometer über den 1345 m hohen La-Llania-Pass. Früher war diese Passstraße die einzige Verbindung ins Golfo-Tal und La Frontera der erste Ort, den man nach den lorbeer-baumheidewaldbedeckten Steilwänden erreichte.

El Lunchón

Unsere Unterkunft Casa Rural El Lunchón (Landhaus zum Mittagessen?) liegt im Golfo-Tal, am östlichen Rand der aus verschiedenen Orten zusammengebastelten Großgemeinde La Frontera. Im wirklich sehr kleinen, etwas abgelegenen Ortsteil El Lunchón ist es das oberste von etwa 10 Häusern inmitten von Obstbauterrassen an den Steilhängen zum Hierro-Grat (etwa 900 Höhenmeter unterhalb des Aussichtspunktes Mirador de Jinama, 1230 m). Es ist ein originales herreñisches Wohnhaus, Mitte des 19. Jh. erbaut von Blas Quintero Zamora (dem Ur-Urgroßvater der jetzigen Besitzerfamilie Quintero), der als Auswanderer auf den Tabakfeldern Kubas gearbeitet hatte. Auf den Terrassen der umgebenden Finca wurden Tabak, Wein und Obst angebaut. Die Familie wohnt jetzt in einem neueren Haus unterhalb, hat das alte Wohnhaus stilecht renoviert und komfortabel ausgestattet und vermietet es als eigenständiges Landhaus mit 3 Schlafzimmern (eines im ehemaligen Vorrats- und Weinkeller), einem großen Wohn-Küchen-Bereich, modernem Bad und 3 Terrassen mit toller Aussicht über das Golfo-Tal bis zur Atlantikküste und hoch zum Grat. Die Lage als oberstes Haus von El Lunchón ist wirklich „überragend“, aber dafür ist auch die Zufahrt ziemlich steil und eng (nachdem die Besitzer-Tochter das Auto einmal als „Lehrvorführung“ eingeparkt hatte, haben wir es vorgezogen, es unten stehen zu lassen und lieber 250 m zu laufen). Die Gastgeber sind sehr nett, eine etwas weiter unten wohnende Deutsche hilft gern bei Verständigungsschwierigkeiten und das Haus mit seinen Terrassen ist wirklich klasse. Morgens und abends (meist im Dunklen nach den Touren) haben wir meist draußen gesessen und die spektakuläre Aussicht genossen (oder den Fledermäusen bei ihrer nächtlichen Jagd zugeguckt, von denen jede scheinbar ihre eigene Laterne hatte). Das Wappentier der Casa El Lunchón ist die Eidechse, die über all am und im Haus (als Figur) vorkommt. Genau das gleiche gilt für den Portugiesischen Tausendfüßer, der seit einigen Jahren auf den Kanarischen Inseln Urlaub macht. Bei feuchtem Wetter kommt der bicho negro (schwarzer Wurm) in Massen aus dem Boden und zieht um (und manchmal auch in) die Häuser. Aber er ist völlig harmlos (beißt nicht, lärmt nicht, stinkt nicht, kackt nicht wie z.B. die Hunde auf den Grundstücken an der Straße) und gar nicht schrecklich, sonder sogar eher schreckhaft: bei Berührung ringelt er sich spiralig zusammen (dann sieht die Segment-Struktur sogar richtig interessant aus) und wartet, dass man ihn auffegt. Ich fand die jedenfalls gar nicht schlimm, sondern hab es sportlich genommen und ihnen immer mal Flugservice in die Umgebung geboten.

Campanario Joapira

Sehr auffällig im ganzen Golfo-Tal steht auf dem roten Vulkanaschekegel der Montaña Joapira wie ein Landleuchtturm der freistehende Glockenturm Campanario Frontera der Kirche Nuestra Señora de Candelaria (Unser Lieben Frau Lichtweihe oder einfach Mariä Lichtmess). Die große Hallenkirche ist außen relativ schmucklos mit kanarentypischen Lavasteinen an allen Rändern und großen weißgetünchten Putzflächen. Der Innenraum wird von Lavasäulen, einer großen Pinienholzdecke und einem katholisch-goldprächtigen Marien-Altar geprägt. Neben der Kirche führen Stufen auf den etwa 40 m hohen Vulkankegel Joapira, auf dem der Glockenturm der Kirche steht. Der Hügel mit dem Glockenturm überragt das Golfo-Tal wie ein Leuchtturm. Die Rundumsicht von der exponierten Aussichtsplattform ist großartig: von der rund 12 km entfernten Punta de la Dehesa im Westen über das gesamte etwa 15 km breite Golfo-Tal mit der Atlantikküste bis zur etwa 8 km entfernten Punta de Arelmo/Roques de Salmor im Norden und über den ganzen Berggrat der Golfo-Steilhänge im Süden. Wenn dazu noch das abendliche Sonnenuntergangslicht auf die Bergflanken scheint, hat man ein Bilderbuchpanorama vor sich.