Rudolstadt-Festival 2017 1 2 3 4
Wie schon bei den letzten Rudolstädter Festivals, hatte ich wieder mal keinen Schimmer von den angekündigten Bands. Außer Prinz Chaos II (Florian Ernst Kirner), der ja bei uns um die Ecke im Schloss Weitersroda residiert und sich in der linken Kulturszene engagiert, aber musikalisch nicht mein Favorit ist. Inzwischen verlasse ich mich aber darauf, dass der Hanneken Bernhard schon was Interessantes raussucht, meistens jedenfalls. Diesmal blieben aber für mich die prägenden Musikeindrücke, von denen man mindestens das nächste Jahr zehren kann, irgendwie aus. Aber spannend war’s natürlich trotzdem… und voll heiß (beides).
Meine Favoriten beim Rudolstadt-Festival 2017
La Dame Blanche (@ Youtube) flippige kubanische Latino-Flöten-Rapperin Paris
Jupiter & Okwess International (@ Youtube) rasende Bongo-Kongo-Roots-Rock-Band aus Kinshasa
López Petrakis Chemirani (@ Youtube) spanisch-kretisch-iranischer Folk-Crossover
Donnerstag, 06.07.2017 Schotten-Rock & Kongo-Bongo
Da ich alles andere als ein Hitradiochartsjunkie bin, konnte ich mit Amy Macdonald (www.amymacdonald.co.uk | Amy Macdonald @ Facebook | Amy Macdonald @ Youtube) nicht viel anfangen. Einige tausend Andere aber schon, die in Megamengen zum Eröffnungskonzert des Rudolstadt Festivals 2017 kamen. Gefühlt waren alle 100.000 Rudolstadt-Rekordbesucher schon da. Wiki P. Dia sagt, sie ist eine schottische Singer-Songwrighterin aus Bishopbriggs bei Glasgow, die seit ihrem 12 Lebensjahr eigene Songs macht. Sie selbst sagt, sie hat keine Botschaft, sondern will einfach Geschichten erzählen und die Leute mit guter Musik unterhalten. Was soll ich sagen, ohne mich bei Millionen Fans unbeliebt zu machen? Sie sieht toll aus, ganz schön durchgestylt, trägt ganz schön dick auf, hat einen aufwändig gemusterten Arm, lebt auf großem Plateauschuh, singt und spielt druckvoll engagiert eigene Songs, klingt irgendwie keltisch (Stimme vielleicht in Richtung Dolores O’Riordan @ Wikipedia, The Cranberries, für die Jüngeren unter uns zur Info), tänzelt bisschen hölzern, spricht einen eigenwilligen breiten schottisch Dialekt, kann „Scheiße“ auf Deutsch sagen und plaudert auch mal ganz nett… Auffällig ist ihre Wandlung vom etwas moppeligen Teenager 2007 zum stylischen Popstar 2017. Die Musik ist, sag ich mal diplomatisch, relativ einfach gestrickter Mainstream-Pop-Rock, was für’s Hitradio (soll es ja auch sein). Über 60 Millionen Aufrufe allein für „This is the Life“ @ Youtube können nicht irren, oder doch? Na ja, und den extra eingeflogenen roten Theatervorhang mit Retro-Scheinwerfern fand ich ganz schön plüschig.
Den obligatorischen Balkan-Brass-Beitrag haben wir diesmal ausgelassen und sind erst wieder zum mitternächtlichen Kongo-Bongo von Jupiter & Okwess International (jupiterandokwess.com | Jupiter & Okwess @ Facebook | Jupiter & Okwess @ Youtube) aufgetaucht. Ich frage mich, wieso können „Die Neger“ (so hieß seine Band, als Jupiter Bokondji noch Diplomatensohn in Ost-Berlin war) einfach so Polyrhythmen aus den Trommeln & Gitarren zaubern und z.B. die Schotten nicht. Apropos Gitarren: die Okwess-Gitareros spielten meist Socklo-Gitarren, die Jean-Luther Misoko Nzalayala (genannt Socklo) in einem Schuppen in Kinshasa aus Sperrholz und Metallschrott (einschließlich der Saiten) herstellt (ohne Elektrowerkzeuge, Strom gibt’s sowieso nicht). Ganz anders als Amy Macdonald hat Jupiter als Vollblutmusiker statt 5 etwa 30 Jahre gebraucht, um halbwegs bekannt zu werden. Aber die Voraussetzungen waren im Kongo sicher nicht so toll: Geboren in Kinshasa, war Jupiter in den 1970ern als Sohn eines Diplomaten der Demokratischen Republik Kongo in Ost-Berlin in der DDR, wo er mit seiner Band „Die Neger“ in Clubs afroamerikanischer Soul, Funk, Rhythm’n’Blues à la James Brown & The Temptations spielte. In den 1980ern zurück in Kinshasa, hat er die vielfältige Musik in den Ghettos seiner Heimat entdeckt, wurde Sänger bei Totenwachen und dafür zuhause rausgeschmissen. 1983 gründete er seine Band Bongofolk (seit 1990 Okwess International) und versuchte, Kinshasas Musik aus dem Ghetto zu holen. Jupiter & Okwess tourten durch Afrika, bis die Band im Kongo-Bürgerkrieg (Zweiter Kongokrieg @ Wikipedia) seit 1998 zerfiel. Einige Musiker flohen ins Ausland. Jupiter blieb im Land, das den Kongo runter ging. 2006 machte der französische Dokumentarfilm „La Danse de Jupiter“ (Renaud Barret & Florent de la Tullaye | „Jupiter’s Dance“ @ veoh.com) ihn auch in Europa etwas bekannter. Seit 2012 tourte Jupiter & Okwess durch Europa, Japan und die USA und waren 2017 beim Rudolstadt Festival. Nach einer kurzen Aufwärmphase haben die Mittelafrikaner (gibt’s das?) aus Kinshasa mit Bofenia-Rock (sagt Jupiter, ich würde es eher Kongo-Bongo-Roots-Dance-Trance-Rock nennen) den Heinepark gerockt. Als Alptraum für die Security jedes Auftritts rufen sie die Mädchen auf, auf der Bühne zu tanzen… Da ließen sich (gefühlt) ganze Mädchenschulklassen nicht lange bitten. Und als dann auch noch die Jungs dazukamen… war es auf der Bühne genauso voll wie davor. Die Kongo-Rocker haben’s einfach drauf…