TFF 2015 1 2 3 4
Sonnabend, 4. Juli: Nordisch cool und tropisch heiß
Erst mal natürlich wieder ins Schwimmbad… Gegen Mittag könnte man sich langsam zu neuen Musikeindrücken aufrappeln.
Weil es wieder ziemlich heiß war, wäre ein Platz in der Stadtkirche schön… Zumal mit Katajjacoustic (seam.hfm-weimar.de/…) etwas für uns Grönlandwanderer Interessantes geboten wurde. Katajjaq ist ein Singspiel der Inuitfrauen, die sich ganz nah gegenüberstehend rhythmische Geräusche aus schwierigen Kehl-/Nasallauten zusingen, die zusammen einen interessanten Klang ergeben (z.B. Naturgeräusche, Wind, Meer, Vögel…) und forcieren, bis eine aus der Puste oder Rhythmus kommt und kichernd aufgibt und dann beide lachen müssen… Die beiden Sängerinnen waren Kiah Hachey aus Bakerlake/Nunavut/Nordkanada (Kiah Hachey @ www.nasivvik.ca | Kiah Hachey @ Youtube) und Karen Flaherty aus Iqaluit/Nunavut (Karen Flaherty @ qaggiavuut.ca | Karen Flaherty @ Youtube) In einem Projekt des Studios für elektroakustische Musik Weimar haben sie mit Studenten der Hochschule für Musik ein Programm erarbeitet im Kontext mit Soundfiles von Naturgeräuschen aus Baffin Island. Es war sehr interessant, welche Laute die beiden jungen Frauen hervorbringen und wie sie es zu einem Klangeindruck verbinden können. Außerdem haben sie sympathisch durchs Programm geführt, einiges erklärt und eine kleine Lektion in Katajjaq gegeben, die aber zu keinen Lernerfolgen geführt hat.
Leider hat unser Glück, in der Kirche einen Platz zu bekommen, dazu geführt, dass ich auch den zweiten Auftritt von Sona Jobarteh verpasst hab.
Gut, da wir einmal bei archaischer Musik waren, konnten wir auch gleich noch das Kapa haka der neuseeländischen Maori-Truppe Hinana (Hinana @ Youtube) auf dem Marktplatz mitnehmen (sozusagen am entgegengesetzten Ende der Welt). Hört sich aber trotzdem ähnlich an (also nur das Wort): Katajjaq – Kapahaka? In der Ausführung hätte der Kontrast nicht größer sein können: vorher 2 Mädchen mit gegenseitigem Singspiel, jetzt eine „Horde“ wildgewordener Maoris auf dem „Kriegspfad“. Es war schon eindrucksvoll, diese ritualisierten Kampfansagen zu erleben, besonders die Urgewalt, Hingabe und zur Schau getragene Aggressivität. Daneben gab es aber auch noch Frauentänze, Chorgesang, Stöckchenlieder, Bommelschwingen (Poi)… Und wenn man sich etwas informiert, ist es auch interessant, wie dieser Teil der Maori-Kultur in die neuseeländische Gegenwart integriert wird, bei Schul- oder nationalen Wettbewerben, Sportveranstaltungen, beim Rugbyteam oder in der Armee (wo es ja auch irgendwie hingehört, aber dann meinen sie es ernst)…
Erst mal erholen. Eine der coolsten Adressen im TFF-Fieber ist der Burgkeller: konstant 21 °C, kühles Bier, super Gulasch mit Klössen und nette Wirtsleute…
Der nächste Hot Spot war im Heinepark/Große Bühne: Valkyrien Allstars (valkyrienallstars.com | Valkyrien Allstars @ Youtube, der etwas dröge Name täuscht, die sind richtig Klasse (fand ich jedenfalls), eine norwegische Band aus Oslo um die Sängerin Tuva Syvertsen. Die haben mit nordischen Fidelfolkjazzavantgardesongs der Sonnenglut getrotzt (ich glaub, das war in mehrerer Hinsicht der heißeste Auftritt, aber schon irgendwie zur falschen Zeit am falschen Ort für eine norwegische Clubband). Mit minimalistischem Outfit hat die Frontfrau ihr Programm heroisch durchgezogen und ihre Songs intensiv rübergebracht. Wie sie sich bis zum Verglühn gegen den Sonnensturm gestemmt hat, war der Hammer, und dabei auch noch überzeugend gesungen. Über die „volkstümliche“ Instrumentierung hinaus hat’s die Musik in sich, einen besonderen, eigensinnigen, melancholischen, nordisch interessanten Klang. Irgendwie haben sie die Hardangerfidel in die Neuzeit geholt… (als Zugabe gibts hier die weltklasse Interpretation Valkyrien Allstars: Masters Of War @ Youtube)
Nach dieser Demonstration nordischer Coolnes (bei fast 40° im Schatten) waren auch wir reif für eine Abkühlung. Leider war keine Zeit dafür, außer einem Blick auf die Saale auf dem Weg in die Stadt. Manuela hatte das Fernziel Gerhard Polt & Well-Brüder (www.polt.de | well-brueder.de | Gerhard Polt und die Well-Brüder @ Youtube) auf der Burg: Fast wia im richtigen Leben: Man spricht bayerisch… (oder auch schwäbisch beim TFF). Früher hießen sie Biermösl Blosn und warn schon immer gern beim TFF gesehn, vielleicht wegen des bayerisch-exotischen Klangs, man weiß es nicht, jedenfalls nicht meins…
Dann eher tiefergelegte Kulturveranstaltungen auf der Neumarkt-Bühne: z.B. Eplemøya Songlag (www.eplemoya.no | Eplemøya Songlag @ Youtube): drei vokale, inzwischen reifere Apfelmädchen aus Norwegen, hört sich erst mal interessant an… Fand ich aber etwas steril, sehr kunstvoll mit ihrer Stimmgabel, das hätt es aber gar nicht gebraucht, sondern lieber etwas mehr „Drive“…
Den hat die bulgarische Folkrockfusion-Band Oratnitza (www.oratnitza.org | Oratnitza @ Youtube) mit ihrer speziellen Mischung bulgarischer Balkanvolksliedbeat mit Drum’n’Didg, wobei der agile Sänger Popa besonders schweißtreibend herumwuselte. Natürlich hat mir das als Didgeridoo-Fan gefallen und der sonore Sound wurde ganz selbstverständlich und eingängig mit bulgarischer Volksmusik verbunden.
Danach war endlich mal Zeit für eine Schwimmbadabkühlung, weil brasilianischer Sambapunkjazz à la Metà Metà nicht meine Musik war.
Meine nächste Wahl fiel auf Celtic Social Club (www.celticsocialclub.com | Celtic Social Club @ Youtube), eine französische Band aus der Bretagne, die keltische Musik von Galizien bis Schottland spielen sollte. Was mit hohen Erwartungen begann, fand ich mit der Zeit ganz schön eintönig und schien mir auch etwas beiläufig abgeliefert. Die in Altherren-Rockart der 70er Jahre „aufgemotzten“ Stücke (waren eher schlicht im Mitklatsch-Rhythmus gestrickt) samt der etwas plumpen Bühnenpräsenz von Jean-Pierre Riou fand ich nicht so toll. Am besten gefielen mir noch die Instrumentalsolos, wenn sie etwas keltisches Feeling aufblitzen ließen.
Na gut, dann hab ich eben noch Zeit für ein Glas Wein, oder zwei… Außerdem sahs ziemlich gewittrig aus, was für einen faradayschen Käfig mit Suhler Kennzeichen sprach… Hab denn auch von „unserer“ Terrasse am Stutenrand das Gewitter-Schauspiel verfolgt, war aber eher nördlich, kaum Regen in Rudolstadt.
Für meinen Geschmack interessante Klänge kamen dann von der Konzertbühne hoch: samischer Joik von Torgeir Vassvik (www.facebook.com/vassvikofficial | Vassvik @ Youtube) aus Gamvik/Finmark/Nordnorwegen (gleich rechts neben dem Nordkap). Da musste ich als Nordlandfreak hin… Und es war seltsam eindrucksvoll, wie er sich berauschte, sang, röchelte, lallte, grunzte, kehlte, obertönte… Schamanentranceimpro mit meditativer Stringbegleitung (Cello, Violine, Bratsche, Gitarre) oder Rahmentrommel…
Halb 1 auf dem Weg zur Heinepark-Hauptbühne muss man am Tanzzelt vorbei. Dort stampfte das Partyvolk gerade unüberhörbar einen grandiosen Gig der englischen Monster Ceilidh Band (monsterceilidhband.co.uk | Monster Ceilidh Band @ Youtube) aus dem Bretterboden. Das ist eine junge Band aus Newcastle upon Tyne/Northumbria/England (wo sie sich offensichtlich alle beim Musikstudium an der Uni kennenlernten): traditionelle englisch/schottisch/irische Volkstanzmusik im druckvollen, elektronisch aufgeladenen Drum’n’Bass-Gewand, die Clubs und Festivals aufmischen kann. Die Tanzwut schien jedenfalls ansteckend und fegte wie ein Stimmungsorkan durchs Tanzzelt und flog der Band um die Ohren, die eines der intensivsten Konzerte dieses TFF abfeierten.
Inzwischen wars halb 2 durch, da konnte man auch noch mal gucken, was Nomadic Massive (www.nomadicmassive.com | Nomadic Massive @ Youtube) nachts so treiben, eine multikulturelle (Kanada/Karibik/Algerien/Frankreich/Chile…) HipHop-Truppe aus Montréal/Kanada. Die verpacken ihre Meinungen zu Rassismus, Migration, Benachteiligung, Chancengleichheit in sinnreiche Raps, druckvolle Beats und eine wirbelnde Bühnenshow, die vor allem von der hippen Hopse Meduza (mit dem Schlangenhaar, eigentlich Meryem Saci aus Algerien) geprägt wurde. Das Publikum war jedenfalls auch um halb 3 noch mühelos begeisterungsfähig…