TFF 2015 1 2 3 4
Sonntag, 5. Juli: Monster-Band und merkwürdige Tänzerin
Im Gegensatz zu uns war Kapelsky & Marina (www.kapelsky.de/… | Kapelsky & Marina @ www.youtube.com/…) am Sonntag Morgen richtig ausgeschlafen und hat uns ab 11 auf dem Neumarkt aufgemuntert. Was neben dem respektlos-vollen Balkan-Gypsi-Klezmer-Jazz-Musikgebräu von Kapelsky (aus dem Ruhrgebiet) natürlich vor allem dem tragikkomischen Gesangsschauspieltanztalent von Marina Frenk (aus Moldawien und Dortmund) zu verdanken war. Eigentlich Theater- und ein bisschen Filmschauspielerin, spielt und lebt sie ihre Auftritte mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Hingabe und Kasperletheater. Und toll singen kann sie auch noch, wobei man auch feststellen kann, dass sich Russisch sehr melodisch anhört.
Manu ist dann wieder mal alleine (na ja, ein paar hundert andere sind auch mit, mir wars zu heiß und ich konnte mich auch nicht losreißen, tut mir jetzt auch’n bisschen leid) auf die Burg zur süditalienischen Band Calàscima (www.kalascima.com | Calàscima @ www.youtube.com/…), die mit furiosem Psychedelic Trance Tarantella @ www.youtube.com/… (ihre aktuelle CD) das Publikum aufmischte (und auch von einer einzelnen Frau spontan zum Festival-Favoriten erklärt wurde). Sechs temperamentvollen Süditaliener mit 3-Tage- bis 3-Wochen-Bärten haben das natürlich beim weiblichen Publikum spielend geschafft. Aber es hört sich auch verdammt bein-/schweißtreibend an. Als Bonusprogramm sorgten sie für die Bewässerung des Publikums in den Tanzpausen…
Ich dagegen habe nach 3 heißen Musikfestivaltagen beschlossen, den Nachmittag im Heinepark + Schwimmbad zu verbringen, wo sowieso die meisten meiner Programmkringel zu finden waren. Dort gabs als nächstes auf der großen Bühne Nobuntu (www.nobuntu-music.com | Nobuntu @ www.youtube.com/…), ein 5-Frauen-a-capella-Chor aus Zimbabwe. Polyphoner Gesang (machen sonst eigentlich dort nur Männer) aus Zulu-Afrika konnte ja nichts Schlechtes sein. Wars ja auch nicht, aber eben bisschen artig bieder (trotz der Superminikleidchen über den schwarzen Leggings). Oder der traditionelle Satzgesang + Gospel war einfach nicht für die große Bühne bestimmt, sondern eher für Theater oder Kirche. Ich fand jedenfalls Zuschauer mit verschiedenen Kopfbedeckungen interessanter…
Am anderen Ende des Heineparks an der Konzertbühne wurde es (für mich) musikalisch/fotografisch noch interessanter: dort konnte man die Monster Ceilidh Band aus Newcastle/England (monsterceilidhband.co.uk | Monster Ceilidh Band @ www.youtube.com/…) mal bei Lichte besehn (und gucken, wie sie sich vom nächtlichen Monster-Gig erholt haben, bei dem sie mich schon begeistert hatten). Sie haben wieder mit Professionalität und einer großen Portion Spielfreude ihre Drum’n’Bass-Elektrofolktanzmusik gespielt (es war der 5. von 6 Auftritten!), es gab eine Kostprobe des traditionellen Clog Dance, aber die Partystimmung der Nacht kann natürlich mittags um 2 bei 35 Grad im Schatten nicht aufkommen (obwohl man auch dann Tanzbeinzuckungen nicht ganz unterdrücken konnte). Außerdem wollte ich noch ein paar Fotos der schnuckeligen Akkordeonspielerin Amy Thatcher machen.
Den folgenden Auftritt vom Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp (www.otpmd.ch | Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp @ www.youtube.com/…) hab ich leider verpeilt (vielleicht weil es nicht markiert war, vielleicht weil der Name so lang ist?). Eigentlich hätten Schweizer Afrobeatalternativpunkjazzsongs in mein Musikbeuteschema gepasst, zumindest interessehalber. So aber bin ich noch mal im Schwimmbad abgetaucht, was auch nicht verkehrt war.
Kurz aufgetaucht bin ich dann beim Džambo Aguševi Orkestar aus Mazedonien (www.dzamboagusevi.com | Džambo Aguševi Orkestar @ www.youtube.com/…), eine der inzwischen unvermeidlichen BalkanBrassBands beim TFF. Klar sorgen sie für Stimmung, wenn mans mag, aber mit der Zeit find ichs überstrapaziert. Dem Tanzpublikum hats jedenfalls gefallen (das ist ja das Wichtigste), was man an der Staubwolke über dem Platz sehen konnte.
Danach ging es dann aber richtig konträr weiter: Mark Ernestus‘ Ndagga Rhythm Force (ndagga.com | Mark Ernestus‘ Ndagga Rhythm Force @ www.youtube.com/…) Das fast ausschließliche Blechgebläse wurde durch fast ausschließliches Trommelgeklöppel gekontert. Zum Verständnis (weiß man ja als unbedarfter Festivalbesucher nicht, manchmal ist ein bisschen Hintergrundwissen hilfreich bei der Wertschätzung – ist aber auch alles nur angelesenes Halbwissen): Mark Ernestus, ein Initiator der Berliner Techno-Szene suchte 2008 in Afrika auf den Spuren von Youssou N’Dour nach den Wurzeln des Minimal-Techno-Rhythmus. Im Senegal/Westafrika findet er die Sabar-Trommelmusik der Wolof und stellt eine Musikgruppe des Seck-Griot-Clans Jeri-Jeri zusammen. Daraus destillierte er einige der Seck-Family + noch ein paar andere Musiker, mit denen er das Programm Yermande konzipierte und auf Tourné ging, die irgendwann auch in Rudolstadt vorbeikommt… Diese manchmal elend-langen, polyrhythmisch varierenden, tranceartigen Trommelrhythmen mit improvisierten Soloeinlagen werden durch Melodieeinsprengsel ausgeschmückt (Gesang, Gitarre, talking Drums…) Das muss man mögen und kann dann auch schon mal etwas abdriften, auch die Trommler spielen manchmal wie im Rausch… Zur Geschichte (die die Griots eigentlich erzählen) gehört unbedingt ein „Ausdruckstanz“, der phasenweise improvisiert den Rhythmus aufnimmt, interpretiert und anheizt. Die Tänzerin Fatou Wore Mboup war seltsam-furchtbar-faszinierend, extrem dünn und mit eigenartig-maskenhaftem Gesicht (zu ihrer Geschichte konnte man erfahren, dass sie aus ziemlich ärmlichen Verhältnissen stammt und auch ihre Tänzerinnen-Karriere nicht gerade problemlos verlief). Mit ihren „Haut & Knochen“ hat sie akrobatisch-epileptische Tanzeinlagen hingelegt, irgendwie unglaublich…
Ganz im Gegensatz dazu schien die goldbehängte Noura Mint Seymali (www.nouramintseymali.com | Noura Mint Seymali @ www.youtube.com/…) aus Mauretanien (gleich neben Senegal) aus einer ganz anderen, gut situierten Welt zu kommen. Die traditionelle Wüstenmusik wurde neben den traditionellen Instrumenten/Gesang mit moderner Instrumentierung „westlicher“ Rockmusik (E-Gitarre, Bass, Drums) aufgepeppt. Und obwohl ich wirklich ein Dessert-Blues-Fan bin und die E-Gitarren-Riffs ihres Mannes Jeiche Ould Chinghaly klasse waren, kam mir ihre Musik irgendwie grobschlächtig-hölzern und besonders der Gesang schreiend-aufdringlich vor. Das konnte man sich eine Weile von Fern anhören, dann war es auch genug…
Und das Festival war plötzlich zu Ende, denn seit dem gentlemanliken Auftritt 2012 habe ich keine Lust mehr auf Deutsch-Reggae, deshalb Patrice abgewählt… Aber sonst war das TFF wieder ganz großartig… ich hab meinen Musikhorizont unglaublich erweitert, tolle Musik kennengelernt, geniale Bands gesehen, vor allem englische… und deutsche… und französische… und überhaupt… und es gab auffällig viele tolle Säng-/Musikerinnen… und ich hab gelernt, dass Swing gar nicht so schlimm ist… und das ganz in der Nähe (egal ob in Weimar oder Leipzig) eine unglaublich gute, intensive Lyrikerin/Musikerin/Sängerin zu Hause ist…
Berichte zum TFF 2015 aus anderer Perspektive gibt es vom www.festivalhopper.de/… „Teliko“ Thomas Helbig
oder da bei www.schubladenfrei.com/… von Florian Hessler