Tour Friaul 2023 1 2 3 4
Julische Alpen bei Valbruna
Unsere 2023-Tour durch den Nordosten Italiens: Friaul/Julisch Venetien ging vom Gebirge der Julischen Alpen über das Erdbebengebiet von 1976 bei Gemona bis zur Adria bei Grado, zum Golf von Triest und schließlich durchs Sočatal in Slowenien zurück nach Nordostitalien.
Valbruna – Val Saisera – Sella Somdogna – Miezegnot-Sattel
Unser Ausgangspunkt in den Julischen Alpen war das Dorf Valbruna (Wolfsbach) bei Tarvisio (Tarvis). Mitte September dort ein Unterkunft zu finden, war nicht einfach. Gefühlt machen sie in den italienischen Alpen ab September alles dicht: die Ferien sind vorbei, die Italiener kommen nicht mehr… Die (empfohlene) Casa Julius Kugy hatte Betriebsferien… Hotel Saisera war mit Polizisten ausgebucht (keine Ahnung, was die da gemacht haben, aber abends war alles voller Polizia-Autos)… Hotel Picchio Nero war zu teuer… Unsere letzte Hoffnung: Valbruna Inn hatte sich erbarmt, unangemeldeten Reisenden eine Unterkunft für 90 €/pro Nacht (DZ) zu gewähren. Aber sie waren wirklich sehr nett, haben sogar eine Verlängerung hingekriegt. Super Frühstück, aber ich musste erst mal lernen, den Eierkocher zu bedienen… Und ganz großartig: die Grappa-Selbstbedienungsbar: man konnte sich abends selbst einen Grappa aus dem vielfältigen Angebot aussuchen und auf Vertrauensbasis abzapfen. Das kleine Dorf Valbruna (ca. 200 Einwohner) auf rund 800 m war unser Ausgangspunkt für Touren durchs Val Saisera bis zum Fuß des Montasio (Montasch) und zu Bergen und Seen der Umgebung. Zu den mehrsprachigen Ortsnamen muss man vielleicht noch anmerken, dass dieses gesamte Gebiet des Val Canale/Kanaltal bis 1919 österreichisch war und zu Kärnten gehörte. Im Dreiländereck von Österreich, Italien und Slowenien gibt’s 4 Sprachen: Deutsch/Kärntnisch, Friulanisch, Italienisch und Slowenisch.
Unsere erste Tour war durchs Val Saisera (am Österreich-Ungarischen Soldatenfriedhof des Ersten Weltkriegs vorbei) zum Parco Tematico della Grande Guerra (Themenpark 1. Weltkrieg). Im oberen Saisera-Tal waren die Weltkriegs-Stellungen der Italiener an vorderster Front. Auf der Infotafel stand auch, dass neben Kälte, Hunger, Überlastung und Auszehrung Lawinen eine tödliche Gefahr waren, dass z.B. an einem einzigen Tag, am 11.04.1915 tausende italienische und österreichisch-ungarische Soldaten Lawinenabgängen zum Opfer fielen. Unglaublich menschenverachtend ist auch, dass es zur Kriegsführung gehörte, Bergstürze und Lawinen durch Minen oder Beschuss gezielt auszulösen.
Von Valbruna aus sind es erst mal 5 km entlang des Flusses Saisera bis zum letzten Parkplatz an der Saisera-Alm (auf 1000 m). Diese Maut-Strecke kann man auch mit dem Auto oder Fahrrad fahren, dann gelten festgelegte Bergauf- und Bergab-Fahrzeitfenster (in der Sommersaison). Schon an dem kleinen Fluss Saisera fällt auf, dass die Flüsse in dieser Gegend oft ein unheimlich breites Kiesbett haben, in denen meist nur ein relativ kleiner Wasserlauf ist. Auf Luftbildern/Maps kann man das besonders an der Flüssen Meduna und Tagliamento sehen. Es kann nur so sein, dass diese Flüsse während der Schneeschmelze ungeheure Geröllmengen transportieren. Ab der Saisera-Alm führt eine Schotterpiste mit 15 Serpentinen oder abkürzend auf einem steilen Wanderweg am Rand der Saisera-Schlucht zur Rifugio Fratelli Grego auf 1385 m Höhe. Von dort ist es ein kurzes ebenes Wegstück zur Sella Somdogna (1400 m), dem Ende des Dogna-Tals unter der Montasio-Gruppe (Jôf di Montasio/Montasch, 2754 m). Wir wollten gegenüber des Montasio zum Jôf di Miezegnot (Malborgheter Mittagskofel, 2087 m) und dann vom Planja-Sattel nach Norden zur Rauna-Alm absteigen und weiter runter nach Valbruna (das hat aber nicht geklappt). Nach der Somdogna-Alm (1440 m) steigt man durch die Latschenkiefer-Zone und kommt über der Baumgrenze bei 1900 m zur Ricovero Battaglione Alpini Gemona: ein Kriegsdorf/Battaillonsunterkunft der italienischen Gebirgsjäger aus Gemona im 1. Weltkrieg. Es gibt meist nur noch Ruinen, aber die ehemalige Kapelle der Stellung wurde als Schutzhütte für Wanderer ausgebaut: mit tollem Ausblick zum Montasio und ins Dogna-Tal. Ein kurzer, aber bröselig-rutschiger Aufstieg führt von dort zum Miezegnot-Sattel (2000 m) unter dem Miezegnot-Gipfel. Hier oben mit Blick nach Norden ins Kanaltal (wo die feindlichen österreichisch-ungarischen Truppen waren) gab es entlang der ganzen Bergkette Beobachtungsposten der Italiener im 1. Weltkrieg: Grundmauern, Unterstände, Stollen und Höhlen sind überall zu finden. Die Aussicht (laut Wegbeschreibung) auf ungesicherte, sehr bröselige Kletterstellen und das Donnergrollen aus Richtung Dogna-Tal überzeugten uns, die Miezegnot-Gipfel-Grat-Überschreitung abzubrechen und schleunigst wieder in das 1000 m tiefer gelegene Saisera-Tal abzusteigen. Daraus wurde dann als Eingehtour eine 30-km-Wanderung mit je 1200 m im Auf- und Abstieg…
Fusine-Seen – Cave del Predil – Lago del Predil – Altopiano del Montasio
Am nächsten Tag war erst mal Sonne und Erholung angesagt: Sonnenaufgang am Montasio, Erholung an den Fusine-Seen (Weißenfelser Seen), etwa 18 km von Valbruna nach Osten, nahe der slowenischen Grenze. Da ist es wirklich schön: zwei kleine klare grüne Bergseen im Wald mit der Bergkulisse der slowenischen Mangart-Gruppe (Mangart 2679 m) im Hintergrund, im Sommer vielleicht überlaufen, im September aber ziemlich ruhig.
Rund 10 km weiter westlich, zwischen Valbruna und dem Fusine-Seetal verläuft das Tal der Slizza (Gailitz) in Süd-Nord-Richtung (mündet bei Arnoldstein/Kärnten in die Gail). In diesem Tal liegt der idyllische Lago del Predil (Raibler See). Auf dem Weg dahin kommt man durch Cave del Predil (Raibl), ein ehemaliger Bergwerksort, der jetzt ziemlich heruntergekommen, trostlos und absterbend wirkt. Ehemals war im österreichischen Raibl die größte Zink- und Bleimine der Alpen. Österreichische und slowenische Bergarbeiter arbeiteten in bis zu 1000 m tiefen Stollen unter dem Königsberg (Monte Re). Slowenische Arbeiter kamen sogar durch einen 5 km langen Stollen unter dem Predilpass aus Log pod Mangartom (Brettendorf) zur Arbeit im Bergwerk. Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Kanaltal Italien zugeschlagen, die Bevölkerung durch Umsiedlung italienisiert. 1991 wurde das Bergwerk endgültig geschlossen und das Besucherbergwerk „Parco Internazionale Geominerario Cave del Predil“ (Internationaler geologischer Bergwerkspark) eingerichtet: auf dem Außengelände wurde ein paar Grubenbahnen und Fördergeräte aufgestellt und man kann ca. 1000 m Stollen besichtigen (mit Voranmeldung), der Blick auf die verfallenden Bergwerksgebäude am Berghang des Kleinen Königsbergs (Piccolo Monte Re) ist gratis. Nach der Schließung des Bergwerks hat ein Großteil der Bevölkerung den Ort verlassen (1999 waren es noch etwa 450 Einwohner). Cave del Predil hat noch ein Bergbaumuseum, ein militärhistorisches Museum der Julischen Alpen, eine Bergarbeiterkneipe, ein Café, einen Einkaufsladen, einen Kinderspielplatz und zwei Kirchen (St. Anna von 1550 und eine neue von 1966). Sehr interessant sieht der Raibler Fünfspitz aus, fünf Berggipfel um 1900 m direkt über dem Tal bei Raibl. Etwa 2 km talaufwärts (am Rio Lago/Seebach) liegt der Lago del Predil (Raibler See) zwischen 1600 bis 1800 m hohen Bergen. An den Kiesstränden im Norden und Süden kann man baden und Wassersport betreiben. Direkt neben dem See verläuft die italienisch-slowenische Grenze mit dem Grenzübergang am Predilpass.
Wenn man dem Seebachtal weiter bergauf nach Südwesten folgt, kommt man zum Neveasattel (Sella Nevea, 1195 m) mit einem künstlichen Skiressort-Ort. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn dort nicht die Hochstraße zum Altopiano del Montasio abzweigen würde. Das ist eine Hochebene südlich der Montasio-Gruppe auf etwa 1550 m Höhe. Die Hochfläche wird als Weide für Rinder und Schafe genutzt, es gibt die Alm Malga Montasio, der Montasio-Käse ist im Friaul sehr beliebt. Die Berghütte Giacomo di Brazzà (1660 m) ist Ausgangspunkt für Bergsteiger zum Jôf di Montasio (2754 m), Cima di Terrarossa (2420 m) und zu anderen Gipfel der Montasio-Gruppe. Giacomo di Brazzà war ein adliger Naturforscher, der 1881 den heutigen Normalweg zum Montasio über die Forca verde erstbestiegen hat.
Val Dogna – Forchia di Cjanalot (Piper-Scharte)
Vom Nevea-Sattel führt die Landstraße SP76 18 km weiter durch das abgelegene Raccolana-Tal (das Giacomo di Brazzà auch erforscht hat) nach Raccolana/Chiusaforte am Fella-Fluss. Im engen Raccolana-Tal gibt es zwischen mehr als 2000 m hohen Bergketten jede Menge Seitenflüsse und Wasserfälle. Zwischen dem Raccolana-Tal im Süden und dem Kanaltal im Norden erschließt das Dogna-Tal vom Ort Dogna (an der Fella) aus das das Gebiet nördlich des Montasio bis zum Somdogna-Pass (da waren wir schon vom Saisera-Tal aus). Das Tal ist Luftlinie nur etwa 10 km lang, aber die Straße schlängelt sich in unglaublich vielen Windungen und Serpentinen über 18 km durchs Tal. Unterwegs kommt man an mehreren italienischen Stellungen aus dem 1. Weltkrieg vorbei, u.a. an betonierten Schützengräben, Wehrgängen und Höhlen bei der „Linea Difensiva dei Plans“, einer Verteidigungsstellung und Versorgungsstützpunkt für die Alpini Gemona im Montasio-Gebiet. Von einem Felssporn aus hatte man das Dogna-Tal und die Straße unter Kontrolle. Rund 2 km weiter talaufwärts sind wir von der Alm Plan dei Spadovai (1115 m) aus am Rio Cjanalot aufwärts zur Forchia di Cjanalot (Piper-Scharte, 1814 m) gewandert, immer im Blick: die Montasio-Nordflanke über dem Val Dogna. Die Piper-Scharte war im 1. Weltkrieg ein weiterer Beobachtungsposten der italienischen Alpini ins österreichische Kanaltal.
Monte Lussari
Eine Tour haben wir bei Valbruna noch gemacht: aufgrund des Tipps eines „Insiders“ („bei David gibts immer was Gutes, Fleisch, Fisch, Nudeln – was ihr wollt“) sind wir zum Monte Lussari (Luschariberg, 1788 m) aufgestiegen: da sind ein paar Gasthäuser und Hotels um eine Wallfahrtskirche versammelt. Weil in der Nachsaison die Seilbahn nur am Wochenende fährt, sind wir auf der Direttissima von Valbruna durch den Bergwald über die Limerca-Alm aufgestiegen: 950 Höhenmeter auf etwa 3 km Wegstrecke, Halleluja. Zwischendurch haben wir noch Schutz vor den Regenschauern in der Seilbahn-Mittelstation gefunden. Der auf der anderen Bergseite aufsteigende Büßerweg von Camporosso aus war früher die einzige Möglichkeit auf den Berg zu gelangen. 1360 soll ein Schafhirte eine kleine hölzerne Madonnenfigur auf dem Monte Lussari gefunden und sie zum Pfarrer in Camporosso gebracht haben. Am nächsten Tag soll sie wieder oben gelegen haben und am übernächsten wieder. Daraufhin wurde an der Stelle eine Kapelle erbaut, die durch einen regen Pilgerstrom zum Marien-Wallfahrtsort wurde. An Stelle der Kapelle wurde im 16. Jh. die Wallfahrtskirche Monte Lussari errichtet, Millionen Pilger sollen seitdem oben gewesen sein. In den Weltkriegen wurde die Kirche zerstört und danach wieder aufgebaut. Mit dem Bau der Seilbahn hat sich die Besucherzahl noch mal erhöht. Aber es wurde auch viel touristischer mit Gasthöfen, Bars, Andenkenladen, Sportladen, Skilift und Abfahrtshang. Davon war aber nichts zu bemerken als wir oben waren, es war alles komplett geschlossen: Kirche, Gaststätten, Seilbahn… Uns blieb nur der etwas wolkenverhangene Rundumblick vom Gipfelkreuz und der Rückweg über die Lussari-Straße ins Val Saisera. Diese Bergstraße mit rund 900 m Anstieg in 18 Serpentinen auf vielleicht 6 km war im Mai 2023 die vorletzte Etappe des Giro d’Italia (Einzelzeitfahren von Tarvisio zum Monte Lussari). Der Slowene Primož Roglič (Rogla, früher Skispringer) gewann diese Etappe und wurde dann auch Giro-Sieger. Extra für diese Etappe wurde die ursprüngliche Schotterpiste betoniert.
Als wir an diesem Tag nach der 7-Stunden-Wanderung hungrig und völlig durchnässt zum Valbruna Inn zurückkamen, stand fest, dass wir am nächsten Tag das Gebirge in Richtung Süden auf der Suche nach Sonnenschein verlassen.