Rudolstadt Festival 2023 1 2 3 4
08.07.2023
Fotoausstellung „Kuba“ von David Garten (USA) in der KulTourDiele
Sonnabend vormittag war wieder etwas Zeit, Rudolstadt zu erkunden. Zuerst haben wir uns den Galerieteil der „Kuba“-Fotoausstellung von David Garten (www.cubaphoto.com) in der KulTourDiele angesehen. Beeindruckende Bilder von einem schaurig-schönen Land.
Erlebnispfad Hain
Weil wir vor 2 an der Heidecksburg-Terrasse sein wollten, haben wir einen Waldausflug in den Hain (ein Wald gleich neben der Heidecksburg) gemacht. Dort führt der Erlebnispfad Hain (www.rudolstadt-hain.de) als Rundweg über den bewaldeten Bergrücken, auf dessen östlichen Sporn die Heidecksburg steht. Interessant war der Röhrenweg: entlang der ehemaligen hölzernen Eichfeld-Wasserleitung (gebaut 1671-1717 von der Pörzquelle zwischen Eichfeld und Schaala) zur Versorgung des Schlosses mit Quellwasser. Wo die alte Wasserleitung auf den Hangweg unterm Hain traf, wurde 1717 ein kleines Röhrenhaus erbaut (für Werkzeuge und Ersatzröhren), das wie eine Kapelle aussieht. Von dort führt der Weg als Himmelsleiter mit 336 Stufen steil bergauf zum Waldrand am Hain. Der Hain-Wald war früher Ausflugs- und Jagdrevier der Grafen/Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt, die ab Ende des 16. Jahrhunderts bis 1918 im Schloss Heidecksburg residierten. Von den angelegten Rast- und Aussichtsplätzen gibt es nur noch die Löwenbank: 1809-13 zu Ehren des Fürsten Ludwig Friedrich II. von Schwarzburg-Rudolstadt (1767-1807) erbaut. Auf dem Helenenweg kommt man zum Jägerhof auf dem Schlossberg und schließlich zur Heidecksburg.
Johann Sundermeier (Hildesheim/Freiburg)
Auf der Heidecksburg stand als erster Sonnabend-Programmpunkt Johann Sundermeier (W johann-sundermeier.de | F www.facebook.com/johann.sundermeier.7) im Schallhaus auf unserer musikalischen Wunschliste. Der „Tausendsassa“ studiert Blockflöten-Spiel an der Hochschule für Musik Freiburg, komponiert, improvisiert und produziert Musik, beatboxt, tanzt und schauspielert auf Theaterbühnen. Mit virtuosem Können, extravaganten perkussiven Spieltechniken, Loops, Hall- und Beatboxeffekten holt er die Blockflöte aus der Musikschul-Langeweile-Geflöte-Ecke und kreiert moderne, interessante, spannende, mitreißende Fusion-Sounds zwischen Barock, Klassik, Jazzimprovisation, Trance und Techno. Spätestens seit Ian Andersons (Jethro Tull) Flute Solo von 1976 weiß man ja, dass sich die Querflöte im Progressive-Artrock behaupten kann. Aber scheinbar hat es noch niemand mit der holzwarm klingenden Blockflöte probiert. Johann Sundermeier zeigt mit Können und Kreativität, dass Blockflöte auch atemberaubend sein kann (nicht nur ihm, sondern auch den Zuhörern), wenn er uns im wahrsten Wortsinn neue Flötentöne beibringt. Irgendwie wurde es ihm ja scheinbar auch schon in die Wiege gelegt, weil seine Mutter und die Oma schon Blockflöte gespielt haben.
Yarima Blanco y son Latino (Kuba)
Unsere nächste musikalische Wanderung führte uns wieder nach Kuba auf den Marktplatz zu Yarima Blanco y Son Latino (www.facebook.com/yarimablancocu). Yarima Blanco aus der südostkubanischen Stadt Bayamo wird als die erste Frau gerühmt, die die kubanische Tres professionell auf internationalem Niveau spielen kann. Die Tres ist eine spezielle 3/6-saitige kubanische Gitarre, die in der Volksmusik eine herausragende Rolle spielt und gewöhnlich nur von Männern gespielt wird. Nach der Musik-Konservatoriums-Ausbildung bis 2005 in Bayamo hat sie einen persönlichen Spielstil auf der Tres entwickelt, mal hart-perkussiv, mal sanft-romantisch (sagt man, das konnte ich nicht raushören). 2015 gründete sie ihre eigene Band Son Latino, außer ihr noch sechs Männer: Oscár Fernandez (Gitarre), Yosbel Nápoles (Trompete), Francisco Porra (Bass), Yunior Hidalgo (Percussion, Gesang), Yusmel Reyes Ávila (Percussion, Gesang) und Andrés Pérrez (Percussion). Yarima Blanco ist die sympathische Frontfrau und Sängerin von Son Latino (ihr Mann ist auch noch als Pecussionist dabei). Sie spielen eigene Son(g)s und kubanische Hits verschiedener Stile (Chan Chan durfte wieder nicht fehlen). Auf der Europa-Tour 2023 stellte sie ihr 2021 erschienenes Debütalbum „Pa‘ mi Tres“ (Für meine Tres) vor. Weil ich ein Tres-Banause bin, konnte ich vielleicht ihr virtuoses Tres-Spiel nicht richtig würdigen, aber der Auftritt kam mir etwas zu konventionell und brav vor (andere nennen es vielleicht authentisch).
Ímar (GB/Irland)
Ímar (W www.imarband.com) ist eine 2016 in Glasgow/Schottland gegründete Band, die traditionelle irische Musik auf höchstem Niveau spielt. Die fünf Musiker stammen aus England, Schottland, Irland und von der Isle of Man. Kennengelernt hatten sie sich schon als Teenager beim Comhaltas Ceoltóirí Éireann, einem Musiknetzwerk zur Förderung traditioneller irischer Musik, das junge Musikern fördert und das jährliche Musikfestival/-wettbewerb Fleadh Cheoil na hÉireann veranstaltet (größtes Festival für taraditionelle irische Musik). Die fünf Musiker spielten und spielen noch in verschiedenen Bands, trafen sich 2016 in Glasgow und gründeten Ímar. Im Unterschied zu ihren anderen Bands spielen sie hier nur instrumental und ursprünglich-traditionelle irische Musik (Slides, Polkas). Ímar sind: Adam Brown aus Suffolk/England spielt die irische Rahmentrommel Bodhrán und Gitarre (auch noch bei RURA und Rua MacMillian Trio), baut zusammen mit seinem Vater selbst die Bodhrans, die er spielt: R & A Brown Bodhrans. Er spielt traumwandlerisch und entlockt dem Trommelfell und Rahmen Tonfolgen, die man sich nicht vorstellen konnte: das nenne ich mal eine Talking Drum. Adam Rhodes (Bouzouki) und Tomás Callister (Fiddle) von der Isle of Man (spielen auch noch bei Mec Lir und Barrule). Ryan Murphy aus Cork/Irland spielt mit Hingabe irischen Dudelsack (auch noch bei Mànran). Mohsen Amini (W www.mohsenamini.com) aus Glasgow spielt Konzertina, eine kleine englische Ziehharmonika (seine soll etwa 120 Jahre alt sein und 7000 £ gekostet haben). Es ist unglaublich, mit welcher Fingerfertigkeit er über die Tonpins rast (gewann 2016 den Young Traditional Musician Award des BBC Radio Scotland, 2018 Musiker des Jahres). Mir kam das aber viel zu irisch-fidel-fiddellastig vor, gegen der Geige hatten die anderen Instrumente kaum eine Chance (fand ich jedenfalls). Deshalb hab ich mir was anderes gesucht…
Flim (Krehfeld/Bielefeld)
…und bin im Schillergarten gelandet. Ich wusste gar nicht, wer dort spielt, aber die entspannte Atmosphäre ohne allzuviel Gedränge auf den „billigen“ Rasenplätzen hat mir gut gefallen. Dort spielte die Band Flim aus Krehfeld/Bielefeld (M flim.band): ein Projekt des Schlagzeugers Till Menzer (Krehfeld) mit Bassist Payam Ghasemi (Iran), Saxophonist Tim von Malotki, der Oud-Spieler Eren Akşahin (Türkei/Bielefeld) und die Harfenistin Zainab Lax (Bielefeld) hab ich nicht entdecken können, dafür ein (unbekannter) Gitarrist (der wie der rechtshändige Zwilling von Payam Ghasemi aussah). Sie spielen eine Art entspannten Orient-Ethno-Jazz-Art-Rock-Crossover.
Sadaqa & schola cantorum weimar (Syrien/Deutschland)
Beim Programm „weimar | babylon“ auf der Großen Bühne im Heidecksburghof war ich nicht dabei. Es ist ein Projekt des Bassisten und Professors an der Musikhochschule „Franz Liszt“ Weimar mit der Band Sadaqa + Jugendchor der schola cantorum weimar (schola-cantorum-weimar.de). Die Band Sadaqa (arabisch: wahrhaftig/aufrichtig/wohltätige Spende) stellte er zum Kunstfest Weimar 2021 zusammen. Das Programm „The Babylon Songbook“ verbindet syrisch/kurdisch/armenisch/assyrisch/arabische traditionelle Musik und Jazz. Sadaqa sind: Manfred Bründl (Weimar, Bass) (www.manfredbrundl.com/sadaqa), Mohannad Nasser (Oud, Syrien) (www.mohannadnasser.com), Ibrahim Keivo (Bouzouki, Gesang, Syrien), Bodek Janke (Percussion, Polen/Deutschland) (www.bodekjanke.com). Der Chor (eigentlich sind es mehrere in verschiedenen Altersklassen: insgesamt etwa 230 Kinder und Jugendliche) der schola cantorum weimar unter der Leitung von Cordula Fischer bezeichnen sich selbst als „erfolgreichster Kinder- und Jugendchor Thüringens“.
Kerchanga (Polen/Frankreich)
Kerchanga (www.facebook.com/kerchanga) ist das Musikerpaar Oliwia Urbańska aus Polen (N’goni, Gesang) und der Franzose Matthieu Gourdon (Gitarre, Gesang, Electronics, Looping), zuhause in Frankreich. Sie kombinieren traditionelle afrikanische Musik mit westlichem Rock, Electronic-Beats und Loops zu einem dichten, präsenten, energiegeladenen, hypnotischen Sound. Hat mir auch gut gefallen, obwohl ich Oliwias Stimme manchmal etwas „schnarrend“ finde. Die beiden sind vielbeschäftigte Straßenmusiker: allein im August 2023 hatten sie 18 Auftritte (bei Linkaband kann man übrigens herausfinden, dass sie 440 €/Stunde kosten, nur falls jemand Interesse hat).
Solju (Finnland)
Solju (www.facebook.com/soljuofficial) sind: Ulla Pirttijärvi-Länsman: Gesang, Joik, Hildá Länsman (samischer Name: Ánn-Ovllá Káre Jari Hildá): Gesang, Getrommel (aus Angeli/Nordfinland, das sind 4 oder 5 Höfe in der Waldtundra direkt an der norwegischen Grenze am Grenzfluss Bajit Giellasansavu), Merve Abdurrahmani (Kosovo/Finland): Klavier, Repkat Parhat (Uigure/China/Finland): Gitarre, João Luís Matos Lopes (Portugal/Finland): Percussion. Die Mutter Ulla Pirtijärvi ist eine bekannte Sängerin des traditionellen samischen Joik in Finland: sie begann ihre Karriere bereits in den 1980er Jahren in der Gruppe Angelin tytöt (Die Mädchen von Angeli), später umbenannt in Angelit, und war danach als Solosängerin unterwegs. Ihre Tochter Hildá Länsman studierte Musik an der Sibelius-Akademie in Helsinki. 2014 gründeten sie die Gruppe Solju (benannt nach der Brosche, die am traditionellen Oberteil Gákti getragen wird). Zusammen mit ihrer Band bringen sie die nordsamische Sprache und den traditionellen Kehlkopfgesangs Joik in die Moderne des Folkpoprock ein zu einem sphärischen hynotisierenden Sound. Naturverbundenheit, die samische Lebensweise und Mythologie sind die Grundlagen des Joik, den es sowohl als spirituellen Gesang als auch als Alltagslied gibt. Dabei werden nicht vordergründig Geschichten erzählt, sondern mit lautmalerischem Gesang Stimmungen ausgedrückt. Eine herausragende Rolle in der Schamanen-Musik spielt die Begleitung durch die Rahmentrommel. Besonders einprägsam war der Wolf-Joik Áille’s Luohti (www.youtube.com/…), auch, weil man da als Publikum mal was Sinnvolles zur Aufführung beitragen kann: das Heulen der Wolfsmeute. 2018 erschien ihr Debütalbum „Ođđa Áigodat“ (Neue Zeiten), 2022 das zweite „Uvjamuohta“ (Pulverschnee). Mit diesem Album gewannen sie 2023 den Preis „The International Indigenous Artist/Group/Recording of the Year 2023“ des Summer Solstice Indigenous Festivals in Kanada.
Ana Carla Maza (Kuba/Spanien/Frankreich)
Ana Carla Maza (www.anacarlamaza.com | www.facebook.com/AnaCarlaMazaCello/) ist eine klassisch ausgebildete Cello-Spielerin und Sängerin. Ihre Band waren noch: Norman Peplow (Klavier, Keyboard) aus Köln, Luis „Luisito“ Alfonso Guerra (Percussion), Kuba/Barcelona und Marc Ayza (Schlagzeug) aus Barcelona/Spanien. Kurzer Vorspann: 1995 in Havanna/Kuba geboren, Vater Carlos Maza (Künstlername: Newen Tahiel) ist Jazz-Pianist/Komponist (aus Chile), die kubanische Mutter Mirza Sierra González ist Gitarristin/Bassistin – da kann man nur Musikerin werden, wie übrigens ihre Schwester auch: die Geigerin Hilda Camila Maza Sierra (von der Familie Maza gibts übrigens eine Aufnahme beim Jazz à Porquerolles von 2013: www.youtube.com/…, Carlos Marza/Newen Tahiel und Mirza Sierra spielen in der Newen Tahiel Grupo zusammen). Ana Carla Maza: als 4jährige im Kinderchor ihrer Mutter, nach Klavierunterricht mit 5 wollte Ana mit 8 Jahren aber lieber Cello spielen, als 10jährige hatte sie ihre Bühnenpremiere beim Internationalen Jazzfestival in Havanna. Als Ana 11 war, ist die Familie 2007 nach Barcelona/Spanien ausgewandert. Von dort tourte Ana als Solistin mit dem Mediterranean Symphony Orchestra durch Europa. 2013 begann sie ein Musikstudium am Konservatorium in Paris, 2016 veröffentlichte sie ihr Debütalbum „Solo Acoustic Concert“. Interessant ist auch ihr Auftritt bei der Talente-Show The Voice 2019: www.youtube.com/… 2023 erschien ihr aktuelles Album „Caribe“, das sie 2023/24 auf Europatour vorstellte (Caribe-Show in Paris: www.arte.tv/…) Alle Musikstücke dieses Albums hat sie selbst geschrieben und für sechs Instrumente arrangiert, das Album ließ sie selbst ohne Musikproduzenten in Eigenregie produzieren. Ihre Musik ist eine Art afrokubanisch-karibische Folk-Jazz-Fusion mit Einflüssen von Cumbia, Son, Bossa, Samba, Tango, Rumba und Salsa. Wie eine Naturgewalt, ein Wirbelsturm am Cello brach Ana Carla Maza über die Schlosshof-Bühne der Heidecksburg herein. Ihr Auftritt war ungeheuer lebendig, fröhlich, präsent, selbstbewusst, sinnlich und faszinierend energiegeladen, im wahren Wortsinn bewegend: für sie und das Publikum. Sie sitzt nicht artig an ihrem Cello, sondern zupft, streicht, kratzt und trommelt auf dem Instrument herum, tanzt damit und wirbelt herum. Sie geizt nicht mit weiblichen Reizen, zeigt viel Haut, führt mit sinnlicher Stimme durchs Programm. Ihre eher dunkle Singstimme gefiel mir sehr gut, nur manchmal schien mir ihre Attitüde ein bisschen dick aufgetragen.