Rudolstadt Festival 2022 1 2 3 4
Ziemlich ungewohnt, so ein Festival nach 3 Jahren. Inzwischen ziemlich gewöhnlich war, dass ich wieder mal keine der Bands kannte (außer Pussy Riot dem Namen nach). Deshalb musste ich schon vorher ein bisschen reinhören, um sich im viertägigen Programm mit rund 300 Veranstaltungen auf 29 Bühnen orientieren zu können: Rudolstadt Festival zum 30sten.
Meine Favoriten 2022:
Trad.Attack (Estland) tradattack.ee
Brushy One String (Jamaika) www.brushyonestring.com
Giuliano Gabriele Trio/Officine Meridionali Orchestra (Italien) giulianogabriele.it
Rüüt www.ryyt.ee
und die Reifenartistin Pauline Zoé (Belgien/Brasilien) www.paulinezoe.com
07.07.2022 Mehr oder weniger überraschend
Boban i Marko Marković Orchestar
Das Rudolstadt Festival ist natürlich immer für musikalische Überraschungen gut. Keine Überraschung war, dass das südserbische Roma-Balkan-Brass-Orchester Boban (Vater) i Marko (Sohn, war aber nicht dabei) Marković Orkestar (www.facebook.com/BobanMarkovicOrkestar) Balkan-Brass spielt (nach allen Informationen auf höchstem Niveau). Aber ich kann trotzdem damit nichts anfangen. Also: Ohren zu und durch. Die Musiker des Roma-Familienclans Marković aus dem kleinen südserbischen Ort Vladičin Han gelten als die besten Blasmusiker ihrer Gegend, wenn nicht sogar des Balkan-Brass überhaupt. Zum diesjährigen Länderthema „Titos Erben“ (Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens) war eine Balkan-Brass-Eröffnung natürlich naheliegend, aber für mich nicht wirklich (er)lebenswichtig. So konnte ich den kurzen Regenschauer zum Eröffnungs-Konzertbeginn um 21 Uhr erst mal im Trockenen abwarten und dann hab ich mir die 17 mehr oder weniger voluminösen Balkan-Bläser und -Drummer eher aus der Ferne angehört. Ordentlich Dampf (Puste) haben die schon in ihre Trompeten, Hörner und Tubas gebracht. Und der brechend volle Platz vor der großen Heineparkbühne sprach für ein begeistertes Publikum (aber es gab ja zu dieser Zeit auch noch kein anderes Konzert).
Giuliano Gabriele Trio
Eine erfreuliche Überraschung war für mich das Giuliano Gabriele Trio (www.giulianogabriele.it) aus Süditalien: Giuliano Gabriele (Gesang, Organetto/diatonisches Akkordeon, Tamburello/Rahmentrommel), Lucia Cremonesi (Viola/Bratsche, Tamburello) und Eduardo Vessella (Tamburello, Percussion). Das Trio macht Musik aus dem Süden Italiens: Alltags-, Liebes- und Unterweltlieder (laut eigener Ankündigung). Nicht dahingesäuselt, sondern spannend und leidenschaftlich gesungen und gespielt. Giuliano Gabrieles süditalienische Lieder sind nicht bieder und artig wie anderer Länder Volkslieder, sondern im Gegenteil treibend oder tragisch, immer leidenschaftlich und mit rhythmischen Wiederholungen auch irgendwie hypnotisierend berauschend. Fazit: Giuliano brauchte etwas länger, um überhaupt anzukommen (Autopanne, Bühnensuche), aber dann groovte er und seine Band sich ziemlich schnell ein. Und aus der deutschen Bauernhäuser-Sitzordnung musste sich erst mal Tanzstimmung Bahn brechen… So, die vorgemerkte schottische Band Mánran auf der Heinepark-Konzertbühne hatten wir durch die faszinierenden Italiener verpasst…
Humba, Humba, Täterätäjah
Blieb nur noch das Spätprogramm ab viertel 1 auf der Großen Bühne: Humba Reggae Jeckness (www.humba.de): Eine bunt zusammengewürfelte Kölner Multikulti-Musikertruppe (die sich aus der Szene irgendwie alle kennen) unter der musikalischen Regie von Roland Peil (Schlagzeuger der Fanta4). Der Anspruch, Kölner Weltoffenheit, Karnevalsgeist und Reggea-Ambition zu verbinden, ist für mich grandios gescheitert: man kann Nachts um 2 keine Mietprobleme verklickern (Amy Brauhaus: „Wut“) oder Weltgedanken (Pachapapa Klaus der Geiger: „Erde, wir sind deine Kinder“), d.h. man kann das natürlich schon versuchen, aber es funktioniert nicht. Mangelnde Karnevalslust im Juli, fehlendes Kölsch-Verständnis, ein irgendwie UnSänger Def Benski („In dr Nohberschaff“), eine (hüft)steife kubanische Sängerin Mirta Junco Wambrug, unterschwellige Reggae-Ansätze und sonst bunt gemixte Musikstile konnten das Programm nicht tragen. Da nutzte auch der Körpereinsatz von Amy Brauhaus nichts. Am Interessantesten waren noch die afrikanischen Musiker/Sänger Melchi Vepouyoum aus Kamerun und Steven Ouma aus Kenia. Sorry: insgesamt für mich eine überraschende Enttäuschung.