Südengland 2016 1 2 3 4 5 6 7 8
1 Dover & Hastings
2 Birling Gap & Seven Sisters
3 Nymans & Petworth House
4 Boomtown Fair
5 Stonehenge & Wells
6 Tintagel & Levant Mine
7 Lost Gardens Of Heligan
8 Lanhydrock House
Nur etwa 80 km nordöstlich von Trewellard/Levant Mine liegt nahe der Südküsten Cornwalls zwischen St. Austell und Mevagissey der ziemlich bekannte Park The Lost Gardens of Heligan (Wikipedia). Wir mussten uns aber abends erst mal einen Zeltplatz in der Gegend suchen. In St. Austell konnten wir leider an der Brauerei (gleich neben der Poltair School und dem Cornwall College, dort macht Schule noch Spaß) nicht anhalten, sondern haben in Richtung Küste nach einer Bleibe gesucht. Dort gibts direkt am Strand den riesigen Pentewan Sands Holliday Park, der uns aber eine Nummer zu groß war. Deshalb sind wir glücklicherweise ein kleines Stück zurückgefahren zum Little Winnick Touring Park, dem besten englischen Campingplatz, den wir bisher finden konnten. Der Empfang war unheimlich freundlich, die Stellplätze unheimlich groß und eben, die Duschen/Toiletten unheimlich sauber und modern. Dazu gab’s als Abendprogramm eine unheimlich lange zweistündige Vorführung englischen Hauszeltbaus nebenan. Außerdem gibt’s Fahrradverleih mit vielen tollen Ausflugszielen in der Umgebung. Kann ich wirklich unheimlich empfehlen (wenn man nicht auf Ballermann steht). Der besondere Park von Heligan ist nur 2,5-Fahrrad- oder 4,5-Auto-Kilometer von Little Winnick entfernt.
The Lost Gardens of Heligan
Das Besondere an den Vergessenen Gärten von Heligan ist, dass der ursprüngliche Park aus dem 18.-19. Jh. seit dem 1. Weltkrieg verwilderte und vergessen wurde und erst ab 1990 wiederentdeckt und rekonstruiert wurde.
Früher
Auf dem Landgut Heligan war seit 1569 die Familie Tremayne ansässig, alter Landadel aus Cornwall und Devon. 1603 wurde das Landhaus errichtet und 1692 zur jetzigen Form umgebaut. Heligan war ein autarkes Landgut mit Bauernhöfen, Steinbrüchen, Mühle, Wäldern, Sägewerk, Ziegelei, Obst- und Gemüsegärten und Brauerei (was man so zum Überleben braucht). Ab 1766 ließ der Besitzer Pfarrer Henry Hawkins Tremayne (1741-1829, hatte auch Aktien am kornischen Zinnbergbau) die Gärten in ihrer jetzigen Art anlegen. Er ließ einen Schutzwald anlegen, veränderte den bisherigen formalen Schlossgarten zu ummauerten Blumen-, Obst- und Gemüsegärten, Gewächshäusern und Melonengarten, später wurde auch Ananas angebaut. Im 19. Jh. wurden exotische Pflanzen gesammelt, z.B. Rhododendren und ein Japanischer Garten angelegt. Zur Blütezeit umfasste der Park etwa 1000 Acres (400 ha) und etwa 20 Gärtner wurden zur Pflege der anspruchsvollen Anlage gebraucht. 1906 wurde ein kleiner italienischer Garten geschaffen.
Im 1. Weltkrieg meldeten sich alle 12 Heligan-Gärtner zur britischen Armee, nur 3 überlebten den Krieg. Nach dem Krieg konnte sich der damalige Gutsbesitzer John Tremayne das große Anwesen nicht mehr leisten und wanderte schließlich nach Italien aus. Das Haus war Kriegslazarett und Offiziers-Erholungsheim und wurde vermietet, 1970 verkauft. Die Gärten blieben in Familienbesitz, wurden aber vernachlässigt und schließlich vergessen. Wie in Dornröschens Zeitkapsel überdauerten die Pflanzen und alle Einrichtungen 75 Jahre, es wurde nichts angerührt oder verändert, geschweige denn modernisiert wie anderswo.
Später
1990 erkundeten Tim Smit (ein niederländisch-englischer Archäologe, Unternehmer und Musikproduzent) und John Willis (ein Tremayne-Nachkomme, der das Tremayne-Land gerade geerbt hatte) die ehemaligen Gärten, die unter einer grünen Decke von Brombeergestrüpp, Efeu, Lorbeer, Farnen und umgestürzten Bäumen verborgen waren. Nach dem schweren Sturm von 1990 in Südengland stießen sie im überwucherten, zerzausten Park bei einer Hausruine auf das ehemalige Gärtner-Klohäuschen (Thunderbox: Donnerbalken genannt), wo einige damalige Gärtner vor der Einberufung ihre Namen verewigt hatten. Na gut, so geht die Sage. Tim hat sich jedenfalls in die Geschichte der Heligan-Gärtner verbissen, nachgeforscht und die Wiederherstellung des schlummerden Parks als Herausforderung angenommen. Nach und nach wurden die verschiedenen ursprünglichen Gärten freigelegt und rekonstruiert. Viele Helfer investierten Zeit, Mühe und Herzblut, um den schlummernden Park, seine Gebäude und seine Geschichte wieder zu erwecken. Smits Kumpel und Garten-Mitbegründer John Nelson (1938-2014), ein ortsansässiger Bauunternehmer aus St. Ewe, setzte sich über 10 Jahre aufopfernd für die Freilegung und den Wiederaufbau der Gartenanlagen ein. Ostern 1992 wurden die ersten Heligan-Gärten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Ein erklärtes Ziel der Betreiber ist, eine nachhaltige Landwirtschaft aufzubauen (Grow Good Food Campaign). Die ursprüngliche Absicht von Tim Smit war 1989, einheimische seltene Tierrassen zu züchten und eine ökologisch-nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben. Auf der Suche nach einem geeigneten Stück Land stießen sie auf Heligan, das dann mit den verwunschenen Gärten eine Eigendynamik zum größten Park-Restaurierungsprojekt Europas entwickelte. Heligan und das folgende Eden-Projekt (Umgestaltung einer ehemaligen Kaolingrube bei St. Austell in einen Klimazonen-Park) sollen ausdrücklich zur ökologischen Bildung der Besucher beitragen.
Jetzt
Englands meistbesuchter Park Lost Gardens of Heligan (etwa 300.000 jährlich) ist keiner mit Baumgruppen und Sichtachsen und so, sondern eher eine Ansammlung unterschiedlicher Themengärten mit hohem Entdeckungs-, Schau- und nicht zuletzt Nutzwert. Heligan ist sowohl ein historischer Garten, der nach alten originalen Vorbildern rekonstruiert wird, als auch ein bewirtschafteter Nutzgarten, der ständig weiterentwickelt wird.
Es gibt Kräuter-, Obst- und Gemüsegärten. Melon Yard und Italienischer Garten wurden nach historischem Vorbild rekonstruiert und ein Weingarten angelegt. Der Nutzgarten mit über 300 alten Obst- und Gemüsesorten wird als lebendiges Museum nach den Gartenbaumethoden des 19. Jh. bewirtschaftet (das heißt auch 100 % Handarbeit z.B. beim Umgraben). Einmalig ist die Ananaszucht in pferdemistbeheizten Gräben, die englische Gärtner im 18. Jh. erfanden (damals war Ananas noch eine kostbare Rarität und kam nicht aus der Dose). Eine der ersten Heligan-Pferdemist-Ananas wurde 1997 der Queen zum 50. Hochzeitstag geschenkt. War das ein Statement?
Die Rasenfläche Flora’s Green im Nordgarten wird von alten Rhododendren begrenzt, die der englische Botaniker Joseph Dalton Hooker um 1850 aus dem indischen Sikkim im Himalaya holte. Daraus ist inzwischen ein regelrechter Wald geworden, mit bis zu 60 m Durchmesser und 8 m Höhe stehen dort einige der größten Rhododendren der Welt (für ein Heidekrautgewächs ganz schön riesig). Für die 350 Rhododendren und 70 historischen Kamelien von vor 1920 wurde Heligan 2008 als Nationale Sammlung des Pflanzenerbes Großbritanniens anerkannt. The Lost Gardens of Heligan erhielt eine Vielzahl von Anerkennungen und Auszeichnungen für herausragende Gartengestaltung und touristische Angebote.
In einem 300 m langen, eingekerbten Tal wurde um 1850, als exotischen Pflanzen in waren, ein kleiner Dschungel angelegt. An den Hängen und 4 kleinen Teichen wächst eine üppige Vegetation aus Bambus, Gunneras (Mammutblatt), Agaven, Baumfarnen (wahrscheinlich die größte Sammlung Englands), Hanfpalmen, Bananenstauden und Rhododendren. Lauschige Wege schlängeln sich unter monstermäßigen Mammutblättern. Im nördlichen Europa ist nur im frostfreien „tropischen“ Süden Cornwalls unter günstigen mikroklimatischen Bedingungen so eine Anlage unter freiem Himmel möglich. Ein immer gut besuchtes Highlight war die Seilhängebrücke.
Bemerkenswert waren auch die bepflanzten Erdskulpturen von Sue und Pete Hill Giant’s Head (ein bis zur Nasenspitze versunkener Riesenkopf) und Mudmaid (Moddermädchen), das sich mit grasgrünen Haaren und Moospelz ins Unterholz bettet.
In den letzten Jahren wurde das südlich anschließende Lost Valley wiedererweckt, eine romantische Fluss- und Teichlandschaft mit altem kornischen Wald. Ein ursprünglich vorhandener Holzkohlenmeiler wurde wieder aufgebaut. 2011 wurde die Holzkohlenskulptur „Growth & Decay“ (Werden & Vergehen) vom kornischen Künstler James Eddy installiert, eine Skulptur, deren Veränderung und Verfall mit der Lebensdauer eingeplant ist. Ein Programm zum Schutz und zur Wiederansiedlung einheimischer Wildtiere wurde begonnen, eine großes Insektenhotel wurde eingerichtet.
Auf den weitläufigen Flächen der umgebenden Farm werden Tamworth-Schweine, Rinder, Devon & Cornwall Longwool Schafe, Ziegen, Hühner, Gänse, Tauben, Bienen artgerecht gehalten. Selbst produziertes Obst, Gemüse und Fleisch wird in den eigenen Läden und Restaurants verarbeitet und angeboten. Die verlorenen Gärten von Heligan wurden nicht nur wiederentdeckt und -belebt, sondern werden auch in Zukunft weiterentwickelt. Dafür sorgen inzwischen rund 100 angestellte und freiwillige Mitarbeiter des Projektes. Mit seiner touristischen Anziehungskraft und und als Arbeitgeber ist Heligan inzwischen auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im sonst eher abgehängten Cornwall.
Eigentlich ein ziemlich cooles Projekt
Zuerst fand ich die Vielzahl scheinbar ungeordneter Gartenbereiche verwirrend und auch ein bisschen enttäuschend, weil es keinen zusammenhängenden Park „aus einem Guss“ gab (wie man sich englische Parks so vorstellt als unbedarfter Tourist). Aber spätestens mit der Erkundung des Dschungels und des beeindruckenden Rhododendron-Waldes wurde daraus Staunen und mit den Informationen zur Geschichte kam eine ordentliche Portion Bewunderung für dieses Projekt hinzu. Und schließlich haben wir uns den ganzen Tag in Heligan herumgetrieben und immer neues Interessantes entdeckt, aber bestimmt nicht annähernd alles.