Südengland 2016 1 2 3 4 5 6 7 8
1 Dover & Hastings
2 Birling Gap & Seven Sisters
3 Nymans & Petworth House
4 Boomtown Fair
5 Stonehenge & Wells
6 Tintagel & Levant Mine
7 Lost Gardens Of Heligan
8 Lanhydrock House
Lanhydrock House
Lanhydrock House & Park ist als Schauplatz für Rosamunde-Pilcher-Roman-Verfilmungen bekannt („Klippen der Liebe“ (1999), „Im Zweifel für die Liebe“ (2009)). Aber nicht uns, denn solche Schmonzetten sehen wir nur so lange, wie man zum Abstellen braucht. Wir sind in diesem Herrenhaus gelandet, weil es naheliegend (zu unserem Campingplatz Eden Valley Holiday Park) war, weil die Reiseverführerbilder interessant aussahen und weil wir unseren letzten Südengland-Tag noch für eine interessante Sehenswürdigkeit nutzen wollten.
Ziemlich holprige Geschichte
Bau im 17. Jahrhundert
Lanhydrock House liegt bei Bodmin, etwa 14 km nördlich von St. Austell mitten in Cornwall. Der Name Lanhydrock des ehemaligen Klosters bedeutet heiliger Hydroc, ein kornisch-keltischer christlicher Missionar des 5. Jh. Nach der Auflösung der Klöster 1539 unter der Kirchenreformation Königs Heinrich VIII. Tudor (1491-1547) kam das Gut in Privatbesitz der Familie Glyn. 1621 erwarb „der reichste Kaufmann des Westens“ (Zinn, Holz, Geldverleih) Richard Robartes (1584-1634) aus Truro das Gut Lanhydrock und ließ seinen Familiensitz dort errichten. Eigentlich hieß er ja Richard Roberts, kaufte sich aber 1624 den Barony-Titel 1. Baron Robartes of Truro für £10000 vom Herzog von Buckingham, ließ seinen Namen in das feudalere Robartes ändern und einen adligen Stammbaum andichten. Das 1626 fertiggestellte Herrenhaus aus grauem Granit ist der heutige Nordflügel der Anlage im jakobinischen (Renaissance) Stil. Sein Sohn John Robartes (1606-1685, kornischer Politiker im englischen Oberhaus, 1. Earl of Radnor, Viscount Bodmin, Kronrat, Lordsiegelbewahrer unter König Charles II. (1630-1685)) ließ das Haus 10 Jahre später 1636-42 zu einem vierflügligen Karree erweitern und das Torhaus 1651 (als Jagdhaus geplant) dazu bauen. 1657 ließ er sich noch einen privaten 340-ha-Jagd-Wildpark einzäunen (man gönnt sich ja sonst nichts).
Verfall & Wiederaufbau im 18. Jahrhundert
Nach seinem Tod 1685 hatten die folgenden Erben kein Interesse mehr an dem Landhaus in der kornischen Provinz, sie hatten sicher auch noch ein paar andere Besitzungen. 1736 wurde das Haus schon als baufällig und absolut unmöbliert beschrieben. Die Robartes müssen nicht sehr beliebt in der Gegend gewesen sein, denn die Urenkelin von John Robartes und nächste Erbin, Mary Vere Robartes (1696-1758), stellte fest, dass es eine der schlimmsten Aufgaben ist, dieses unliebsame Gut zu verwalten. 1754 erwog sie sogar den Abriss des verfallenen Hauses und den Landverkauf (geschätzter Wert £110000). Ihr Sohn George Hunt (1720-1798), der Lanhydrock 1758 geerbt hatte, wohnte aber wieder im seit 1723 leerstehenden Lanhydrock House. Er ließ den Ostflügel 1784 abreißen und das restliche Gebäude in der heutigen U-Form renovieren und neu ausstatten. Entsprechend der gerade herrschenden Klinker-Mode wurde es rot angemalt.
1798 erbte George Hunts Nichte Anna Maria Hunt (1771-1861) das Haus, allerdings mit £68000 Schulden (entspricht heute etwa 6 Mio.), £100 Guthaben für den Betrieb des Hauses und 3 Bedienstete: eine alte Haushälterin, deren Tochter und der Gärtner. Onkel George hatte sein Vermögen, Anteile an Zinnminen, Kupfer- und Holzeinnahmen und die Möbel von Lanhydrock anderen Verwandten vermacht. Obwohl sie meist in Mayfair/London bei ihrer Mutter wohnte, reorganisierte die neue Besitzerin das Landgut mit Hilfe ihrer Gutsverwalter William und Alfred Jenkins und sanierte das Haus schrittweise. Zum Schutz der Bilder wurden Jalousien angebracht und Heizöfen sollten für die Trockenlegung des Gebäudes sorgen. Die Portland-Sandstein-Mode verlangte nun einen gelben Anstrich. Bis 1812 waren die Schulden abbezahlt. Ab 1810 nahm das Schicksal der Hunts eine tragische Wendung, 2 ihrer 3 Söhne und ihr Ehemann Charles Agar starben. In den folgenden 50 Jahren blieb Anna Maria Hunt unverheiratet und kümmerte sich um Lanhydrock, um das Gut für ihren einzigen überlebenden Sohn Thomas James Agar (1808-1882) bestmöglich aufzustellen. Thomas Agar nahm den Namen Lord Robartes an und heiratete 1838 die Erbin einer großen kornischen Familie, Juliana Pole-Carew. Thomas James setzte auch die Wohltätigkeit seiner Mutter für die Bergleute fort und galt als „Freund der Armen“. Von 1857-64 ließ er das Haus instand setzen, das Brauhaus wurde zum Billardsaal umgebaut, in die Fenster wurden Glasscheiben eingesetzt und die Gartenanlagen wurden umgestaltet. Lord und Lady Robartes hatten einen Sohn Thomas Charles (1844-1930) und lebten in Lanhydrock.
Brand & Wiederaufbau im 19. Jahrhundert
1881 geschah die Katastrophe: ein Großbrand breitete sich vom Küchenschornstein über den ganzen Südflügel und den halben Mitteltrakt aus. Nur der Nordflügel mit seiner 35 Meter langen Long Gallery aus dem 17. Jahrhundert (mit einer der längsten Stuckdecken Englands) und das Frontportal blieben verschont. Der am nächsten Tag aus London angereiste Sohn Thomas Charles telegrafierte: „Galerie gerettet. Nicht ganz so schlimm wie befürchtet.“ Obwohl äußerlich unverletzt, starb seine Mutter Lady Robartes einige Tage später an Rauchvergiftung und Schock. Im folgenden Jahr starb auch Lord Robartes an „gebrochenem Herzen“ über den Verlust seiner Frau. Das Mauerwerk der ausgebrannten Bereiche hatte standgehalten und konnte für den Wiederaufbau genutzt werden, der schon 1881 in Auftrag gegeben wurde. Für damalige Zeit modernste Ausstattung wurde eingebaut: brandsichere Zimmerdecken, Warmwasserversorgung, Feuerlöscher im Haus… Aus den durch den Architekten Richard Coad veranschlagten Baukosten von etwa 19400 Pfund wurden aber am Ende 73000, was den Auftraggeber nicht begeisterte.
Die Familie Agar-Robartes
1885 zog der 2. Lord Robartes Thomas Charles Agar-Robartes (1844-1930, der 1899 von der Familie Agar auch den Titel Viscount Clifden erbte) und seine Frau Mary (geb. Dickinson, 1853-1921) im renovierten Lanhydrock House mit 80 Bediensteten ein. Zwischen 1879 und 1895 bekamen sie 10 Kinder, von denen eines im Säuglingsalter starb. Alle anderen Kinder wuchsen in Lanhydrock auf. Vor allem durch die kriegswirre Zeit Anfang des 20 Jh. gab es keine weiteren Nachkommen der Agar-Robartes-Kinder. Weil ihre Verehrer im Krieg umkamen, heiratete von den vier Töchtern nur die älteste, Mary Vere (1879-1946), blieb aber kinderlos und starb in Lanhydrock. Das 2. Kind, der älteste Sohn Thomas Charles Reginald, genannt Tommy, ein Politiker und Captain der Infanterie (1880-1915) starb im 1. Weltkrieg. Er wurde 1915 bei Loos in Flandern erschossen. Das 3. Kind war Julia Caroline Everilda (1880-1969), genannt Eva, Zwillingsschwester von Tommy. Sie blieb ebenso wie ihre jüngere Schwester Edith Violet Kathleen (1888-1965) ledig und sie lebten bis zu ihrem Tod in Lanhydrock. Das 4. Kind, der zweite Sohn Francis Gerald (1883-1966), wurde nach dem Tod seines Vaters 1930 der 3. Lord Robartes und 7. Viscout Clifden und erbte Lanhydrock, wo er mit seinen beiden Schwestern lebte. Das 5. Kind John Radnor (1884-85) starb als Säugling. Arthur Victor (1887-1974), das 6. Kind, wurde nach dem Tod seines älteren Bruders Francis 1966 der 4. Lord Robartes und 8. Viscount Clifden. Er war 2 mal verheiratet und hatte eine Tochter Rachel. Als letzter männlicher Agar-Robartes-Nachkomme starben mit ihm die Titel aus. Das 8. Kind, die 4. Tochter Constance Margaret (1890-1936) wurde im 1. Weltkrieg Krankenschwester und fand darin ihre Berufung. Sie blieb ledig und starb mit 46 Jahren. Das 9. Kind, Cecil Edward (1892-1939) war ebenfalls Soldat im 1. Weltkrieg, er starb 47jährig in einem Pflegeheim in Plymouth. Der jüngste Sohn Alexander George (1895-1930) war nach dem 1. Weltkrieg im Dienst des englischen Vizekönigs in Indien, kam nie über sein Kriegstrauma hinweg und beging 1930 Selbstmord.
Während des 2. Weltkriegs nahm Lanhydrock Kinder auf, die vor Luftangriffen in Sicherheit gebracht wurden. 1953 entschloss sich Francis Gerald Agar-Robartes, Lanhydrock House mit 160 Hektar Land an den National Trust zu übereignen, mit der Bedingung, dort weiter wohnen zu können. 1954 wurde die ersten 6 Räume öffentlich zugänglich gemacht. Die letzt Bewohnerin der Agar-Robartes-Familie in Lanhydrock war „Miss Eva“ bis 1969, die 88 Jahre alt wurde. Ihr Grab ist auf dem Friedhof Lanhydrock. Inzwischen kommen jährlich über 200.000 Besucher in den Park und das Haus mit etwa 50 öffentlich zugänglichen Räumen.
Es gibt viel zu sehen…
Vom Park-Platz geht’s erst mal in den Park, der ganz schön groß ist. Und überall laufen so viele Leute rum? Sonnabends früh ist von 9 bis 10 Lanhydrock-Park-Lauf. Im ehemaligen Jagdpavillon/Torhaus sitzt nun der National Trust und kassiert den Eintritt (2016: £13,55, Kinder die Hälfte, freier Eintritt für NT-Mitglieder, so wie wir für 10 Tage). Hinter dem Torhaus öffnet sich links und rechts der Rosamunde-Pilcher-filmtauglichen Kieszufahrt zum Herrenhaus ein „Vorgarten“ mit Rosenrabatten (Spezialität: alte englische Rosensorten) und Buchsbaumkeulen.
Wir haben uns erst mal den Park angeschaut, der in Terrassen auf eine Kuppe hinterm Haus führt. Unten noch geschniegeltes und abgezirkeltes formaler Parterre, wird der Park noch oben immer „wilder“. Im seit 1933 durch Francis Gerald, den 7. Viscount Clifden, gestalteten Hochgarten hinterm Haus gab’s alte Magnolien, Kamelien, Hortensien, Rhododendren, exotische Büsche und Bäume.
Im dreiflügligen Herrenhaus kann man auf 3 Etagen (vom Erdgeschoss bis zu den Bodenkammern) etwa 50 Räume besichtigen (das dauert ’ne Weile): von den Küchen- und Wirtschaftsräumen über die Zimmer der Bediensteten bis zu den herrschaftlichen Wohn- und Schlafräumen, Salons und Säle. Die Ausstattung wurde so bewahrt bzw. rekonstruiert, wie sie im 19. und 20. Jahrhundert eingerichtet und bewohnt wurde. Viele Zimmer sind so eingerichtet und lebendig dekoriert, als ob die Bewohner gleich wiederkommen könnten. Die technischen Einrichtungen sind Hightech von 1885 und danach: brandsichere Decken, Haustelefon und Feuerlöschanschlüsse in den Fluren, technische Geräte in der Küche, wassergekühlte Anrichte.
Im Haus
Aber der Reihe nach: Durch das zentrale Eingangsportal an der Auffahrt kommt man in den Empfangssalon mit einem großen Kamin. Die Sitzecke davor sieht aus, als ob die Robartes nur mal kurz ausgegangen sind und gleich wiederkommen. Aber statt der Robartes trifft man auf das Personal des National Trust in historischen Kostümen, die ein wachsames Auge auf die Besucher haben, aber auch gern Fragen beantworten. Im Empfangssalon begrüßt einen der National-Trust-Empfangs-Steward mit dem Hinweis, dass Taschen und Rucksäcke abzulegen sind. Fotografieren (ohne Blitz) ist überall erlaubt (was unseren Besuch auf mindestens die dreifache Zeit ausdehnte). Der zuerst betretene Mittelteil des Hauses und der (linke) Südflügel waren 1881 ausgebrannt und wurden bis 1885 im viktorianischen Stil wieder aufgebaut. So auch die Innere Halle, das Teak-Treppenhaus zu den Schlafräumen und der Speisesaal, der nicht klein ausgefallen ist (waren ja auch Eltern mit 9 Kindern). Beeindruckend sind auch die großen repräsentativen Treppenhäuser aus Eiche und Teak und die Holztäfelungen in Zimmern und Fluren. Im Südflügel gibts noch Lady Robartes‘ Tageszimmer, das Verwalterbüro und die nicht gerade enge Billardhalle (1860 aus der Brauerei umgebaut). Im Raucherzimmer neben der Billard-Lobby lag ein toter Tiger (Nigel?) – Rauchen kann tödlich sein – und hinten stand Tommy Agar-Robartes als Pappkamerad (Krieg kann auch tödlich sein). Diese unteren Salons wurden bis 1885 mit brandsicheren Raumdecken mit auffälligen geometrischen Stuckarbeiten ausgeführt. Daneben gibt es in einem Südflügel-Anbau die Zimmer der Haushälterin, des Hausmädchens und die ehemalige Dienerhalle, in der jetzt im Restaurant Selbstbedienung angesagt ist. Der spannendste Bereich im Erdgeschoss ist aber der Küchentrakt mit den Wirtschaftsräumen im hinteren Anbauteil. In einem Küchenkamin war 1881 der Brand ausgebrochen, der diesen Hausteil bis auf die Grundmauern zerstörte. Die Küche wurde modern wieder aufgebaut und ist auf dem damaligen Stand mit originaler Ausstattung und liebevoller Dekoration lebendig erhalten. Auffällig ist eine gusseiserne französische Herdzeile und der riesige, vielleicht 3 m breite Grill, der durch die Abwärme des Küchenkamins gedreht wurde. Außerdem gab es eine eigene Bäckerei & Konditorei, eine Milchküche, eine Fleischerei und einen Kühlraum, in dem angerichtete Speisen durch Kühlwasser in umlaufenden Rinnen frisch gehalten wurden. Überall sind originale Einrichtungsgegenstände, Geräte, Tischdekoration und frische richtige Lebensmittel (z.B. Tomaten, Eier, Käse, Brot, Kuchen, Wackelpudding), die immer wieder erneuert werden.
Über eine von fünf Treppen gelangt man in die obere herrschaftliche Wohnetage. Südaußen, etwas abseits von Lord und Lady, war das Kinder-Reich der kinderreichen Familie: Schlafzimmer und Spielzimmer mit Puppen (aus Thüringen!), Puppenhäusern und Nähmaschinchen für die Mädchen und Schaukelpferd, Spielzeugsoldaten und Diaprojektor für die Jungen (mit hoffentlich jugendfreien Bildern). Die Kinder sollen begeisterte Fotografen gewesen sein. Das Kindermädchen hatte ihr Zimmer im Kinder-Reich. Nebenan war links das Babyzimmer und rechts die Schule. Sie war also umzingelt von bis zu 9 Kindern und hatte bestimmt keine Langeweile.
Im Süd- und Mitteltrakt sind die Schlaf- und Ankleidezimmer der Herrschaften: Zwei Zimmer im Südflügel wurden für Thomas Charles Reginald alias Captain Tommy eingerichtet. Es sieht aus, als ob er gerade auf Fronturlaub kam, aber er kam 1915 aus Flandern nicht zurück. Bei der Schlacht von Loos starben etwa 20.000 Soldaten, Tommy Charles Agar-Robartes wurde von einem deutschen Scharfschützen getroffen und starb am nächsten Tag (30. April 2015). Sein krokodillederner Toilettenkoffer wurde zurückgeschickt, war lange Zeit ungeöffnet aufbewahrt worden und liegt nun auf seinem Bett. Apropos drauflegen: auf vielen Museums-Betten, -Stühlen und -Sesseln liegt nach Touri-Reservierungsart irgendwas drauf: keine Handtücher, sondern Koffer, Taschen, Papiere oder meistens Kiefernzapfen. Die scheint’s einerseits genügend zu geben und andererseits sind sie popounfreundlich genug, um sich nicht draufzusetzen und so die wertvollen Sitzmöbel vor gemeinen Besucherhintern zu schützen.
Die Schlafzimmer der Lord- & Ladyschaft schließen daran an, groß und detailgetreu ausgestattet, aber nicht spektakulär. Der Lord hatte gerade ein Fußbad vorm Kamin genommen, auf dem Bett lag sicher nicht der Bademantel, sondern eher was Zeremonielles. Bei dem Tapetenmuster wäre ich aber nicht in den Schlaf gekommen. Das Bad war auch eher schlicht und funktionell: gusseiserne Wanne, Kamin & Toilettentisch – das wars. Die Lady hatte ein Doppelbett (für alle Fälle), aber es lag nur eine Wärmflasche drin… Nebenan, das Budoir, war auch nicht so aufregend, wie man sich ein „Frauenzimmer“ vorstellt. Da dominierten Tee und Torte (aber vielleicht hat der National Trust auch umdekoriert).
Nach den herrschaftlichen Privatzimmern kommt man im Mitteltrakt zu dem Bereich, der vom Brand 1881 verschont blieb. Der Salon und der Morning Room haben noch die ursprünglichen tonnenförmig gewölbten Decken. Der Salon ist mit allerlei Inventar ganz schön überladen. Neben Blumenbänkchen, Schreibsekretären, Sofas, Teetischchen und einem scheußlichen goldbeinigen Sideboard mit allerlei Nippes gibt es auch noch eine „Fankurve“ mit Bildern der englischen Königsfamilie, darunter ein Weihnachtsgruß von 1954 von der frischen Königin Elizabeth II.
Hauptattraktion im Lanhydrock House ist die ums Eck anschließende 35 m lange Galerie (Long Gallery) im Nordflügel mit dem original erhaltenen Deckengewölbe über die gesamte Raumlänge. Die figürlich und ornamentreich gestaltete Stuckdecke stellt biblische Szenen dar, wie Adam und Eva im Paradis, die Vertreibung, der Bau der Arche Noah… Dazwischen war auch Platz für die unglaublich vielfältige, detailreiche Darstellung von einheimischen und exotischen Pflanzen und Tieren. Alle Stuckdecken des Hauses sind weiß getüncht. Das hebt das Relief hervor, bildet einen guten Kontrast zu den meist dunkel holzgetäfelten Wänden und wäre mit einer farbigen Bemalung sowieso zu schwer für die filigrane Deckenaufhängung geworden (hab ich irgendwo gelesen). Beeindruckend ist auch die umfangreiche alte Bibliothek mit religiösen und klassischen Büchern seit dem 17. Jh. Dort wo früher die Robartes-Kinder kegelten und die Gäste flanierten, schlendern jetzt eine Vielzahl von Touristen durch den Prunkraum. Am Ende der Galerie steht der Steinway-Flügel von 1926 (aus Hamburg), der von ambitionierten Besuchern bespielt werden kann.
Insgesamt haben wir uns etwa 3 Stunden im Haus rumgetrieben, waren in fast allen zugänglichen Räumen und haben viel fotografiert. Der Besuch von Lanhydrock Park & House war wirklich sehr interessant und ist unbedingt zu empfehlen, wenn man sich das Leben einer reichen kornischen Adelsfamilie vom 16. bis zum 20. Jahrhundert vorstellen will. Hintergrundinformationen zur Familien- und Hausgeschichte, zu den jeweiligen Bewohnern und den Räumen sind vorteilhaft.
Empfehlenswert fanden wir auch das vom National Trust betriebene Restaurant (vor allem, wenn man großen Hunger hat, wie wir nach fast 5 Stunden Besichtigungsprogramm).
Kirche St. Hydroc
Aber es war noch nicht ganz zu Ende. Denn das Glockenläuten in der Kirche St. Hydroc (gleich neben dem Herrenhaus) kündigte ein Highlight an, das ich schon lange mal sehen wollte: das spezielle englische Kirchenglocken-Wechselläuten (change ringing).
St. Hydroc ist eine alte Klosterkirche von Mitte des 15. Jh. (Säulen und Bögen im Mittelschiff um 1450 erbaut, Eingangsportal mit original erhaltenen Holzarbeiten von 1546) anstelle einer älteren Kapelle aus dem 11. Jh. Eine Athelstan-Glocke (König von Wessex & England, 894-939) aus dem 10. Jh. ist im Turm erhalten. Sie wurde 1478 durch William Worcester (Guilelmus Worcestrius, 1415-82) dem Heiligen Hydroc geweiht, einem keltischen frühchristlichen Einsiedler und Missionar des 5. Jh. Die Kirche kam 1620 mit dem Grund in den Besitz des reichen Kaufmanns Richard Robartes, der gleich nebenan sein Herrenhaus bauen ließ. Dabei wurde St. Hydroc umgebaut und um den Westturm und zwei Seitenschiffe erweitert. Wie der ganze Besitz, verfiel auch die Kirche bis Ende des 18. Jh. Die Erbin Anna Maria Hunt und folgende Generationen ließen Haus und Kirche reparieren. 1844 wurde St. Hydroc’s Church auf Kosten von Thomas James Robartes als Pfarrkirche eingesetzt und bis 1886-88 vollständig saniert (aus dieser Zeit stammt auch der Alabaster-Altar und das 8-Glocken-Geläut). Es werden öffentliche Gottesdienste abgehalten, bei denen Nigel Teagle (der Obergärtner von Lanhydock) die Glocken läutet.
Außer beim Wechselläuten (change ringing): das ist Sache des Kunst-Glöckner-Vereins. Dazu braucht man um 360° drehbare Glocken mit Handzugseil am Glockenrad. Die fest am Glockenbalken montierten Glocken werden „aufgeschwungen“ und zuerst senkrecht „kopfgestellt“. Aus diesem labilen Gleichgewicht werden sie nach einer Choreografie nacheinander um genau eine Umdrehung rumgezogen (mehr wär blöd, weil sich dann der Glöckner am Zugseil in die Höhe wickeln würde), wobei jeweils ein Glockenschlag erklingt. Beim Rückzug gibts dann wieder einen Glockenschlag und so weiter, dass ein vorher festgelegtes Glockenspiel entsteht. Das geht ganz schön auf den Zugarm, klingt aber toll. Nach dem Spiel werden die Zugseile am Zugseilhalter eingehängt und nach oben gezogen, dass nicht jeder Dödel glöcknern kann.
Damit wurde auch unsere Heimreise eingeläutet: 500 km bis Dover, die halbe Nacht (verspätet) auf rauer See nach Dünkirchen, ein bisschen Autokautsching am Strand von Sint Idesbald und 750 km nach Haus fahren – da war man wieder urlaubsreif.