Südengland 2016 1 2 3 4 5 6 7 8
1 Dover & Hastings
2 Birling Gap & Seven Sisters
3 Nymans & Petworth House
4 Boomtown Fair
5 Stonehenge & Wells
6 Tintagel & Levant Mine
7 Lost Gardens Of Heligan
8 Lanhydrock House
In einer langen Winternacht 2015 hab ich beschlossen, koste es, was es wolle (das hat’s denn auch) mal zur Boomtown Fair, einem Musikfestival bei Winchester in Südengland, zu fahren (das hat auch viel mit dem Auftritt von von Gabby Young 2016 in Rudolstadt und Jena zu tun). Nachdem die Eintrittskarten und Parkplatzkarten und Duschkomfortkarten bestellt waren, mussten wir unseren Urlaub um das Festival vom 12. bis 15. August 2016 herum stricken. Da wir noch nicht in Südengland waren, wollten wir es bei dieser Gelegenheit mit dem Auto erkunden: von Dover im Osten in der ersten Woche nach Winchester in der Mitte Südenglands und nach dem Festival eine weitere Woche nach Westen an die Küste Cornwalls. OK, dazu haben noch ein paar Karten gefehlt: natürlich die Fahrkarten für die Fährüberfahrt. Und dann noch die Touristen-Mitgliedskarten für den National Trust oder English Heritage, die beide die englischen Sehenswürdigkeiten, Natur- und Kulturdenkmäler, Küstenabschnitte, Parks, Gärten, Schlösser, Burgen, Museen, Gräber, Limes, Steinhaufen… unter sich aufgeteilt haben, verwalten und erhalten. Weil wir nicht wussten, was wir brauchen, sind wir für 2 Wochen Mitglieder in beiden Vereinen geworden. Aber gebraucht haben wir eigentlich nur den National Trust: und zwar für Eintrittsermäßigungen zu den Sehenswürdigkeiten und für freies Parken auf den dazugehörigen Parkplätzen, das kann nämlich ganz schön pfundige Löcher in die Urlaubskasse reißen.
Kreidefelsen von Dover & South Foreland Lighthouse
Als billigste Überfahrt haben wir die DFDS-Nachtfähre von Dünkirchen nach Dover genommen, nach 2 Stunden Überfahrt wurden wir um 3 in Dover ausgeladen. Nach der Restnacht auf einem Stellplatz an der Upper Road oberhalb der Steilküste haben wir am nächsten Tag die Kreidefelsen zwischen St. Margaret’s at Cliffe und Dover bewandert. Die berühmten Kreidefelsen White Cliffs Of Dover kann man auf 3 km Weg zwischen dem National-Trust-Besucherzentrum (mit Parkplatz, Info, Shop und Café) und dem Kap South Foreland (mit 33 km der nächste Punkt Englands zum europäischen Festland bei Calais) erkunden. Die mit Feuersteinbändern durchsetzten blendend weißen Kalkfelsen ragen meist senkrecht bis 100 m über den Meeresspiegel des Ärmelkanals und ermöglichen eindrucksvolle Blicke entlang der Küstenlinie mit dem Fährhafen von Dover, Tiefblicke auf das Ufer und bei klarer Sicht Weitblicke über den Ärmelkanal zur französischen Küste. Die Wege des Landschaftsschutzgebietes werden vom National Trust gepflegt, können aber frei bewandert werden. Und man kann auch frei abstürzen, da es am Steilufer keine Sicherheitseinschränkungen, aber jede Menge Erosion gibt. Beim Tiefblick auf den Spülsaum sieht man nicht nur ein altes Schiffswrackgerippe in der Langdon Bay (der ehemalige Weg dort runter wurde inzwischen durch Steinschlag zerstört), sondern auch frische Felsstürze. (Das Dampfschiff „Falcon“ mit einer Ladung aus Jute, Teppichen und Streichhölzern (eine nicht so tolle Mischung) war 1926 vor der Küste in Brand geraten, die Mannschaft wurde gerettet, das brennende Schiff sollte in den Hafen von Dover geschleppt werden. Weil man es dort nicht haben wollte, wurde es als Wrack aufgegeben und trieb an die Küste, wo es in strandete und teilweise abgebrochen wurde.) Am Kap ist der gut erhaltene viktorianische Leuchtturm South Foreland Lighthouse von 1843 als technisches Museum eingerichtet. Er diente bis 1988 der Positionsbestimmung bei der gefährlichen Schiffspassage an der Goodwin Sandbank (über 2000 registrierte Schiffswracks). 1859 wurde an diesem Leuchtturm durch Michael Faraday das erste elektrische Leuchtfeuer der Welt installiert, 1899 gelang Guglielmo Marconi von hier die erste weite drahtlose Funkverbindung nach Frankreich. Mr. Derek Noden, das very englische Original im Dienste des National Trust, hat uns das alles sehr freundlich erklärt, leider haben wir nur a little bit verstanden und mussten es noch mal nachlesen, z.B. dass die Laterne seit 1904 kinderleicht drehbar (die durften denn auch gleich am Rad drehen) auf einem Ölbett gelagert ist und mit einer Art Uhraufzugsgewicht betrieben wurde.
Hastings
Nachmittags sind wir an der Küste weiter westwärts gefahren. Bei St. Mary’s Bay konnte man sehen, wie der Rest der englischen Kanalküste aussieht: kilometerlange Kieselstrände, an denen Grosseltern ihre Enkel bespaßen müssen.
Auf dem Hastings Touring Park gabs noch ein paar freie Zeltplätze, so dass man zum Nachbarn einen gehörigen Sicherheitsabstand von mindestens 100 m lassen konnte. Hastings ist eine Handels-, Industrie-, Fischerei-, Studentenstadt und Seebad am Ärmelkanal mit gegenwärtig etwa 90.000 Einwohnern. Das Gebiet war schon in römischer Zeit Hafenort. Die historische Altstadt Hastings‘ liegt im Bourne-Tal zwischen East- und Westhill. Der über 1000jährige Fischerort lag ursprünglich am Fuß des Easthills an der All Saints‘ Street (früher Fisher Street), gegenüber am Westhill lagen die „besseren“ Viertel der Kaufleute um die High Street (Market Street). Seit dem 18. Jahrhundert erlangte Hastings als Seebad Bedeutung und dehnte sich mit Hotels, Promenaden, Kaufhäusern und Pier (die 2010 abgebrannt ist und im April 2016 nach 2 Jahren Restaurierung wiedereröffnet wurde) mit dem Ort St. Leonards-on-Sea weiter nach Westen aus. Das alte Fischerort und das neue Seebad St. Leonards lagen immer im Clinch um die Nutzung des Strandes. Dummerweise hat die Hafenstadt Hastings nämlich gar keinen richtigen Hafen, sondern der Stade (angelsächsisch für Landungsplatz) genannte Küstenbereich des Bourne-Tals diente von je her als Fischereistrand. Der Stade-Strand wurde aber öfter durch Sturmfluten überschwemmt und zerstört, auch weil er in der Stadtentwicklung vorsätzlich nicht gegen Sturmfluten geschützt wurde, in der Hoffnung, dass die ganze Fischerei ins Meer gespült werden würde. Hastings hat auch heute noch die größte Strandfischereiflotte Europas, nach Feierabend werden die Boote mit Seilwinden oder Kettenraupen auf den Kieselstrand geschleppt, deshalb haben sie extra Strandkufen.
Wir haben vor allem die ursprüngliche Altstadt erkundet. Die All Saints Church (Allerheiligen-Kirche, etwa 1420 erbaut) ist neben St. Clement (im Kaufmannsviertel der Altstadt) eine der 2 mittelalterlichen Kirchen von Hasting. Die anschließende All Saints‘ Street war die Hauptstraße des alten Fischerortes. Es gibt eine Reihe gut erhaltener und restaurierter mittelalterlicher Fachwerkhäuser, wie das Wohnhaus der Mutter des Admirals Cloudesley Shovell aus dem 15. Jahrhundert. Unten an der Küste kann man die eigene Atmosphäre am Fischerstrand Stade zwischen Fischerkaten, Fischereigerät, „gestrandeten“ Booten, Raupen und Badegästen erkunden. Eine weitere Besonderheit und Wahrzeichen Hastings‘ sind die Net Shops, hohe geteerte wetterfeste Bretterschuppen als Fischerhochhäuser am Strand, in denen die Netze und anderes Fischereigerät zum Trocknen aufgehängt wurden, weil der Platz sonst dafür nicht ausreichte. (Mehr Informationen: www.hastingsfish.co.uk) An den Fischständen am Strand kann man nach erfolgreichem Fang frischen Fisch von den Kuttern bekommen, bei RX Fisheries inzwischen sogar online bestellen, mit Lieferung am nächsten Tag (leider nur auf der britischen Insel).
Kurios-niedlich ist auch die 260-mm-Spur-Kleinbahn Hastings Miniature Railway, die seit 1948 am Strand fährt. Nach langer Vernachlässigung in den 1980/90er Jahren wurde sie von neuen engagierten Besitzern renoviert und 2011 wiedereröffnet. Einige kleine Dampf- und Dieselloks zuckeln mit ein paar offenen Personenwagen auf 600 m Strecke zwischen Rock-a-Nore (am Fischerstrand) und Marine Parade Station am Touri-Freizeitpark. „Flamingo Holiday Park“ scheint etwas übertrieben, ich hab nur Schwantretboote und Möwen gesehen.
Und es gibt noch mehr schräge Bahnen in Hastings: die Schrägaufzugs-Bahnen auf die Klippen West Hill Lift (1890) und East Hill Lift (1902). Die eine fährt durch einen Tunnel auf 50 m Höhe zum Aussichtspunkt auf dem West Hill mit Blick über Old Town, The Stade, den Vergnügungspark, die Seebrücke von St. Leonards, die (dürftigen) Ruinen der Burg Hastings, den Ärmelkanal und die Küste bis nach Beachy Head. Die andere, derzeit steilste Bahn Großbritanniens fährt zum Hastings Country Park auf dem East Hill, den Klippen von Hastings.