Teneriffa El Hierro La Gomera 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Frischer Wind und alte Orte im nordöstlichen Hochland
Gorona del Viento
Wenn man über Villa de Valverde ins Hochland fährt, kommt man kurz nach der Inselhauptstadt an 5 Windrädern und einem Wasserbecken vorbei. An der Straße Hl-1 gibt es einen Mirador del Parque Eólico mit Aussicht auf die Windräder und etwas weiter einen Aussichtspunkt mit Infotafel am oberen Wasserbecken, das spektakulär, aber auch ganz erheblich landschaftszerstörend im vulkanischen Explosionskrater La Caldereta (Eintopf) im Hochland auf etwa 700 m Meereshöhe angelegt wurde.
Beides gehört zum Wind-Wasser-Kraftwerk Gorona del Viento, das 2015 fertiggestellt wurde und El Hierro als erste Insel der Welt autark komplett mit ökologisch nachhaltiger Elektroenergie versorgen sollte (bisher gab's ein Dieselkraftwerk). Das Kraftwerk besteht aus den 5 Windrädern (in der Passatwind-Zone) und einem Pumpspeicherwerk (als Energiespeicher). Die Gesamtanlage ist aber nicht so leistungsfähig wie geplant und erzeugte seit Inbetriebnahme nur/immerhin knapp 50 % des Strombedarfs. Ein Problem der Pumpspeicher ist auch, dass sie in einer vulkanisch/seismisch aktiven Zone liegen und deshalb gefährdet sind und nicht nach Bedarf frei dimensioniert werden können.
Tour von San Andrés nach Albarrada und zum Árbol Garoé
Der kleine Ort San Andrés (knapp 250 Einwohner) ist die "Hauptstadt" der Viehwirtschaft auf El Hierro, der traditionell wichtigsten Wirtschaftsform der Insel. Das umgebende Hochland Meseta de Nisdafe auf etwa 1000 m Höhe ist durch die Passatniederschläge fruchtbar und wird für Felder und Weiden genutzt. In Honduras bei San Andrés (so klein ist die Welt) ist die zentrale Molkereigenossenschaft der Insel (SCL Ganaderos de El Hierro/Central Quesera El Herreño), die auch die El-Hierro-Spezialität Queso herreño herstellt, ein 100prozentiger Biokäse aus Kuh-, Schafs- und Ziegenmilch, den es als Frischkäse oder gereift und geräuchert gibt.
Sonst gibt’s in San Andrés noch den TÜV El Hierros (ITV), einen Sportkomplex mit Basketball, Ringkampfarena, Aschenbahn (beste Vulkanasche) und Pferderennbahn, eine Kirche, einen Lebensmittelladen, das Restaurant „La Igualdad“ (Casino San Andrés), einen Grill „Mesón Cristino“, den Imbiss „Casa Goyo“, ein Mode-, Kosmetik- und Souvenirgeschäft und ein paar Touristenunterkünfte. Der Ort ist wirklich sehr ländlich, kaum ein Haus über 2 Stockwerke, fast jedes Grundstück hat noch einen Garten oder ein kleines Feld am Haus. Durch die zentrale Lage im nördlichen Hochland eignet sich San Andrés aber sehr gut als Ausgangspunkt für Wanderungen in die Umgebung (Knotenpunkt der Routen GR-131, PR-EH 4, 6, 7, 8, 11). An der Hauptstraße Calle Jarera kann man gut parken und einfach losgehn…
Wir wollten auf dem Weg PR-EH 7/11 (auch Sendero circular del agua: Wasser-Rundweg genannt) etwa 3,7 km zum berühmten Árbol Santo oder Árbol Garoé (heiliger wasserspendender Baum der Bimbaches-Ureinwohner, bedeutet Fluss oder Lagune) wandern. Durch die Calle la Iglesia geht man erst rund 150 m nach Norden zur Überlandstraße Hl-10, an der noch mal 150 m entlang bis zum Abzweig des Wanderwegs PR-EH 7/11. Auf einer Schotterpiste verläuft der Wanderweg eben auf etwa 1050 m Meereshöhe unterhalb eines Vulkan-Doppelkegels mit Sendemast Montaña de los Hilochos/Montaña del Jablito (1176 m). Nach weiteren 500 m zweigt rechts ein Pfad nach „La Albarrada“ ab, der dann über die Schulter eines weiteren Vulkankegels Chamuscada (1373 m) führt. Am Fuß des Chamuscada (heißt versengt) öffnet sich eine grüne, von Kakteen, Büschen und Bäumen überwucherte Ebene, die mit einem wilden System von Trockenmauern überzogen ist.
La Albarrada
Das sind die Ruinen einer der ältesten Siedlungen El Hierros (zusammen mit Guinea, La Montañetas): La Albarrada (heißt Schutzmauer/Trockenmauer). Die Siedlungen wurden schon vor der spanischen Kolonisierung (ab 1405) von der ursprünglich berberisch-nordafrikanischen Bevölkerung der Bimbaches als Höhlen und Trockensteinbauten angelegt. La Albarrada war im fruchtbaren Hochland so gelegen, dass es vom Meer aus nicht zu sehen war (zum Schutz gegen Piratenüberfälle). Der Name Albarrada bezeichnet eine das Dorf umschließende Schutzmauer gegen die umliegenden Weiden, um das Vieh von den Feldern fern zu halten. Durch die Siedlung geht ein mit Trockenmauern eingefasster Hauptweg, von dem die Familien-Grundstücke (Sitio) abgehen, die aus Wohnhäusern, Klo, Ställen, Zisterne, Hausgärten und kleinen Feldern bestehen. 1860 soll der Ort 10 Gehöfte gehabt haben, von denen nur eines ständig bewohnt war (die übrigen durch die Mudada der Wanderhirten nur zeitweilig). In den 1890er Jahren lebte Pedro Padrón als letzter Einwohner in seinem Geburtshaus bis er es durch Brandstiftung verlor und das Dorf endgültig verlassen musste. Die Pajera (Stroh) genannten ursprünglichen einfachen Häuser bestanden nur aus aufgeschichteten Vulkangestein-Trockenmauern, innen mit einer Bosta (Mist) genannten Dichtmasse (aus Kuhmist und Asche) abgedichtet, hatten ein Tür und ein kleines Fenster/Lüftungsloch. Das Dach war als Holzgestell mit Pflanzenfasern (Gras, Stroh, Palmwedel) abgedeckt (bei Sturm musste es zusätzlich festgezurrt werden). Die Konstruktion ist sehr einfach und empfindlich und verfällt bereits nach kurzer Zeit der Nichterhaltung.
Deshalb sind in dem seit etwa 120 Jahren verlassenen Dorf nur noch die Grundmauern zu sehen, die von der Natur überwuchert werden. Aber man kann das ganze Gebiet frei zugänglich erkunden. Eine spanisch/englisch/deutsche Infotafel vermittelt einige Informationen zum Dorf. Den Ort fand ich sehr spannend, auch wenn man die Anlagen nicht so ganz verstehen konnte (erst die Maps-Draufsicht lässt die Siedlungsstrukturen erkennen). Ich hätte gern noch mehr entdeckt, aber wir wollten ja auch noch zum Heiligen Bim(baches)-Baum.
Auf dem alten Dorfweg kommt man wieder zurück zum Wanderweg auf der Schotterpiste an einer Weggabelung. Rechts geht’s an einem Berghang durch Weidegebiet etwa 70 Höhenmeter aufwärts auf einen Höhenrücken, von dem man östlich das Meer sehen kann (falls Wolken und Nebel es erlauben). Auf dem Höhenrücken kommt man auch an der Zedern-Baumgruppe „Los Dornajos“ (die Tröge) vorbei. Breit gegen den Passatwind aufgestellt, kämmen Äste und Blätter die Feuchtigkeit aus der Luft und leiten das Wasser zu unterhalb der Bäume angelegten Auffangtrögen.
Árbol Garoé
So funktionierte die Wasserversorgung auf einer Insel, die sonst wenig Oberflächenwasser zur Verfügung hat, für die Urbevölkerung der Bimbaches jahrhundertelang. Deshalb wurde der Árbol Garoé, ein riesengroßer Lorbeerbaum (einen Kilometer weiter), der sein Wasser in Felshöhlen leitete und das Überleben der Bimbaches sicherte, als heilig verehrt (und ziert jetzt das Wappen von El Hierro). Das Zapfwasser dieses Baums soll in Notzeiten für die gesamte Inselbevölkerung und das Vieh gereicht haben. Tragischerweise wurde der heilige Baum 1610 bei einem Unwetter zerstört, aber da war für die steinzeitliche Urbevölkerung durch die normannische und spanische Kolonisierung sowieso schon alles zu spät. 1949 wurde an der Stelle des alten Baums wieder ein Lorbeerbaum gepflanzt, der inzwischen etwa 7 m hoch ist und Wasser zapft. Das Gelände drumrum wurde inzwischen eingezäunt und als Centro de Interpretación del Árbol Garoé in ein kleines Informationszentrum verwandelt. Die 2,50 Euro Eintritt wären ja o.k. gewesen, aber als wir gegen halb 8 endlich ankamen, hatte der Heilige Baum natürlich schon 2 Stunden Feierabend…
Da blieb uns nur, im Dämmerlicht nach San Andrés zurückzuhirschen und ein Wässerchen auf den Wasserweg samt -baum zu kippen.
Mirador de Isora
Isora
Etwa 3 km südlich von San Andrés liegt die Gemeinde Isora im Hochland auf etwa 800 bis 900 m, ein alter, traditionsreicher Ort mit rund 450 Einwohnern (sagen die Reiseführer). Wenn man da hin kommt, sieht man aber gar keinen Ort, sondern eher eine Ansammlung von Grundstücken der Dörfer Los Llanos, La Torre, Tajace und Isora: Häuser mit Gärten und Feldern, die in einem Umkreis von etwa 1,5 km verstreut sind. Aber wahrscheinlich ist das ja gerade die traditionelle Siedlungsform (wie in Albarrada): Familienhöfe mit ihren eigenen Gärten, Feldern und Weiden. Manche Häuser sind hübsch in kanarischer Bauweise erhalten, manche sind betonhässlich. Ehrlich gesagt fand ich Isora jetzt nicht so aufregend. Jedenfalls hat man in Isoras Ortsteil La Torre versucht, an der Kirche San José das Ortszentrum Plaza de la Unión hinzukacheln (mit viel Beton und Fliesen). Dieser Platz wird vermutlich hauptsächlich für die Fiestas zu Ehren der Dorfheiligen San José und Fátima gebraucht. Und ein Biosphärenreservats-Museum (im alten Casino) und eine Bar haben sie auch noch abbekommen. Außerdem gibts noch das Restaurant Isora Brasseria, einen Sportplatz gleich neben dem Friedhof und insgesamt über 20 Ferienhäuser. Ab der Plaza de la Unión endet die Hauptstraße Calle Ferinto als Sackgasse etwa 1,5 km weiter südlich am Mirador de Isora. Der Aussichtspunkt wurde sehr schön mit kleinen Aussichtsterrassen aus Lavastein mit Holzgeländern in die Umgebung der Steilwandkante integriert (übrigens ist die Aussicht nachmittags nicht ganz so optimal, weil dann die Bucht im Schatten der Steilwände liegt). Isora liegt nämlich an einem Zipfel des Hochlandes, das nach Osten und Süden steil zum Meer hin abfällt.
Las Playas
Ähnlich dem Golfo-Tal auf der gegenüberliegenden Inselseite (nur nicht ganz so groß) hat ein gigantischer Felssturz vor etwa 150000 Jahren die Bucht von Las Playas aus der Inselflanke gerissen, die sich unter 800 m hohen Steilwänden halbkesselförmig ca. 5 x 2,5 km ausdehnt. Diese abgelegene Inselbucht ist nur über eine Küstenstraße aus dem Norden und steile Hirtenwege vom Hochland zu erreichen. An der Küste der Bucht dehnen sich Geröllstrände aus, es wurde das Freizeitgebiet Área recreativa de Las Playas angelegt und neben ein paar Fincas und dem Restaurant "Bohemia" gibt es noch das "erste Haus der Insel", das Parador de El Hierro, sehr besonders und besonders abgelegen gelegen.
Ein ganz kleines Stück Camino de Isora (PR-EH 3)
Vom Mirador führt ein steiler alter Stieg, der Camino de Isora, nach unten in die Bucht Las Playas. Der ausgesetzte Weg auf losem Geröll ist schon für Wanderer nicht ganz einfach, aber krasserweise wird er im Web auch als Bikestrecke beschrieben (wenn da also etwas runterrauscht, könnte das Steinschlag sein oder auch nur ein Harakiri-Radler). In die andere Richtung geht der Wanderweg PR-EH 3 etwas unterhalb von Isora durch die Felder nach La Cuesta, da sind wir lang. Die Gegend ist von unendlichen vielen Trockensteinmauern durchzogen, die Terrassen stützen und Felder, Weiden und Wege begrenzen. Wo sie nicht mehr gebraucht und gepflegt werden, verfallen die in jahrhundertelanger Kleinarbeit errichteten Bauwerke mit der Zeit. Ebenso wie die alten, einfachen, kleinen kanarischen Häuser aus Lavagestein, wenn der letzte Bewohner ausgezogen oder gestorben ist. Die Gegend bei Isora ist als Obstanbaugebiet bekannt (wovon im November nicht viel zu sehen war), aber auffällig waren die vielen schönen Feigenkakteen, die entlang der Mauern wuchsen. Entweder wurden sie angebaut oder sind verwildert (oder beides).
Die Früchte und frischen Triebe der ursprünglich aus Mexiko stammenden Feigenkakteen kann man essen (oder werden als Viehfutter verwendet). Natürlich sind die feinen Stacheln etwas kratzig im Abgang, aber wenn man die Früchte mit Lederhandschuhen abreibt, geht's. Inzwischen ist die Nutzpflanze weltweit verbreitet: von Amerika über die Kanaren und Südeuropa bis nach Australien. Der Kaktus dient auch als Grundlage der Cochinillen-Zucht: eine Schildlaus, aus der der rote Farbstoff Karmin gewonnen wird - einer der beständigsten und intensivsten roten Farbstoffe für Lebensmittel, Kosmetik und Malfarben (inzwischen meist chemisch ersetzt).
Mirador de la Peña
Auf der Suche nach einem geburtstagstauglichen Restaurant kamen wir schließlich zum Mirador de la Peña bei Guarazoca: ein Aussichtspunkt (mit Spitzenrestaurant) in 640 m Höhe auf der Kante ganz im Osten über dem Golfo-Tal. Der Mirador wurde in den 1980er Jahren vom berühmten Künstler und Architekten César Manrique (von Lanzarote, 1919-92) geplant. das Restaurant ist ein architektonisch zurückgenommener Bau aus rötlichem Lavagestein (der nicht höher als die Palmen sein sollte) in der einfachen Giebelform alter herreñische Häuser mit anschließenden Glas-Lichthöfen. Eine untere Etage öffnet sich mit breiter Glasfront zur Aussichtsterrasse zum Golfo-Tal. In der Umgebung wurden an der Steilwand Risco de Tibaje weitere kleine Aussichtsplattformen und ein kleiner Park mit kanarentypischen Pflanzen angelegt (z.B. Drachenbaum).
Als wir dort waren, war aber gerade eine Veranstaltung des Kulturfestivals Lava Circular 2018 und es gab nur Reden und Diskussion statt Essen und Getränke. Aber genialerweise hatte Manrique in seinen Mirador auch noch die Sonnenuntergangsfunktion eingebaut, so dass ab etwa 18 Uhr alle in einen kollektiven Caspar-David-Friedrich-in-Betrachtung-des-Sonnenuntergangs-Rausch verfielen. Über die ganze El-Golfo-Bucht bis zur Punta de la Dehesa kann man der Sonne beim Untergehen zusehen (und wie sie 6000 km weiter westlich gerade auf das Mittagessen in Florida scheint).
Bar „Joapira“ in Frontera
Apropos: Essen gab’s hier keins mehr und auch im empfohlenen Restaurante „Sunset la Maceta“ waren die Lichter wegen Winterurlaub schon aus. So führte uns der Hunger zurück auf die sichere Seite der gastronomischen Macht, zur Bar „Joapira“ am Kirchplatz von La Frontera (nur 750 m von unserer Casa El Lunchón entfernt, da hätten wir uns den Umweg über das Hochland auch sparen können). Dort ergatterten wir noch 2 Plätze, 2 Bier und 2 venezolanisch-kanarische Steaks. Prost Mahlzeit! Vergiss die 5, merk dir die 6 und 0 ist 10 und 1 ist keins, das ist das Hexeneinmaleins…